Peter Helmes*
Am 22. Januar 1963 hatten die deutsche und die französische Regierung den Élysée-Vertrag unterzeichnet, der als das Fundament der Freundschaft beider Länder gilt. Aus Anlaß des 60. Jahrestags der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags haben Bundeskanzler Scholz und der französische Präsident Macron eine Stärkung der Europäischen Union gefordert.
Aber auch die Beziehungen der beiden Länder benötigen neuen Schwung. Viele Politiker vermissen bei Scholz ebenso den klaren Willen, Unstimmigkeiten auszuräumen.
Wir brauchen wieder das Feuer der Gründerjahre des Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrages.
Peter Helmes
Scholz und Macron fordern gemeinsam Stärkung der EU
Deutschland und Frankreich feiern zwar heute die Unterzeichnung des Elysée-Vertrags vor 60 Jahren. Doch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gibt es Unstimmigkeiten.
Scholz und Macron äußerten sich in einem Gastbeitrag für die FAZ. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bezeichneten sie es als wesentliche Herausforderung für die EU zu gewährleisten, daß Europa „noch souveräner“ werde und über die geopolitischen Kapazitäten verfüge, die internationale Ordnung zu gestalten. Europa müsse vor allem stärker in seine Streitkräfte und seine Rüstungsindustrie investieren, verlangten der deutsche Regierungs- und der französische Staatschef in der F.A.Z. Das fördere auch die transatlantischen Beziehungen.
Europa soll „erster klimaneutraler Kontinent“ werden
Die angestrebte geopolitische Stärke bemesse sich aber nicht nur in militärischen Mitteln, erklärten Scholz und Macron in dem Beitrag weiter. Es sei auch notwendig, in strategischen Bereichen zukunftsorientiert zu handeln. Dazu gehöre eine Diversifizierung bei strategischen Versorgungsgütern. Außerdem müsse sich Europa aufmachen, „der erste klimaneutrale Kontinent der Welt“ zu werden. „Wir werden dabei nationale Entscheidungen beim Energiemix akzeptieren“, schrieben die beiden. Frankreich setzt auf den Ausbau der Atomkraft, während in Deutschland die letzten AKW in diesem Frühjahr vom Netz gehen sollen.
60-Jahr-Feier des Elysée-Vertrags in Paris
Bundeskanzler Scholz, das gesamte Bundeskabinett und zahlreiche Abgeordnete des Bundestags kommen am heutigen Sonntag zur 60-Jahr-Feier des Elysée-Vertrags in Paris zusammen, anschließend treffen sich beide Regierungen zum deutsch-französischen Ministerrat. Zudem gibt es eine Sitzung des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats.
Bas: Neuer Schwung in deutsch-französischen Beziehungen nötig
Bundestagspräsidentin Bas sagte der Nachrichtenagentur AFP, Frankreich und Deutschland sollten eine gemeinsame europäische Idee für eine soziale Integration entwickeln, etwa beim Mindestlohn und anderen sozialen Standards. Auch die gemeinsame Sicherheit müsse man wieder stärker in die eigenen Hände nehmen, betonte die SPD-Politikerin.
Zwischen Berlin und Paris war es zuletzt offen zu Unstimmigkeiten gekommen, etwa über die Energiepolitik oder die von Deutschland vorgeschlagene gemeinsame europäische Luftverteidigung. Im Herbst hatte dies unter anderem dazu geführt, dass das deutsch-französische Ministertreffen verschoben wurde.
Cohn-Bendit: Macron hat Vision für Europa, Scholz offenbar nicht
Der deutsch-französische Publizist und langjährige Abgeordnete des Europaparlaments, der Grünen-Politiker Cohn-Bendit, verwies darauf, daß die Beziehungen zwischen Berlin und Paris seit jeher schwierig seien. Cohn-Bendit sagte im Deutschlandfunk, um dies zu ändern, brauche man einen klaren Willen. Den beobachte er bei Kanzler Scholz derzeit nicht. Der französische Präsident Macron habe eine klare Vision von Europa, die er durchsetzen wolle. Dabei pralle er gegen einen deutschen Bundeskanzler, der dies offenbar nicht verstehe.
Deutschland und Frankreich haben in ihren bilateralen Beziehungen zahlreiche Konfliktpunkte, zum Beispiel:
- Europäischer Raketenabwehrschirm: Bundeskanzler Scholz hatte im August in einer Grundsatzrede in Prag für den Aufbau einer europäischen Luftverteidigung geworben. Seit dem Ukraine-Krieg war eine Lücke im europäischen Verteidigungssystem deutlich geworden. Mitte Oktober unterzeichneten 15 Staaten eine entsprechende Absichtserklärung. Frankreich war eingeladen, wollte sich aber nicht beteiligen. Staatschef Macron hält die nukleare Abschreckung seines Landes für ausreichend. Frankreich entwickelt zudem gemeinsam mit Italien eine eigene Raketenabwehr.
- Energiepolitik: Als Anfang des Winters der Strom knapp zu werden drohte, warfen Frankreich und Deutschland sich gegenseitig vor, bei der Energiepolitik jeweils den falschen Weg eingeschlagen zu haben: Auf der einen Seite des Rheins gab es Probleme mit Atomkraftwerken, auf der anderen mit der Gasversorgung. Mittlerweile haben sich beide Länder innerhalb der EU auf gemeinsame Gaseinkäufe geeinigt und beliefern sich außerdem gegenseitig mit Gas und Strom. Einig sind sich die Partner auch darin, daß der Strommarkt reformiert werden soll, da der Strompreis sich derzeit am Gaspreis orientiert. Wie genau das aussehen soll, darüber wird allerdings noch debattiert. Deutschland ist daran gelegen, Investitionen in Erneuerbare Energien abzusichern.
- Wasserstoff: Auch bei diesem Thema zeichnen sich Konfliktlinien ab. Ein deutsch-französisches Joint-Venture will sich in der Normandie am Aufbau einer großen Anlage zur Wasserstoffproduktion beteiligen. Frankreich will für das energieintensive Verfahren Atomstrom nutzen. Damit wäre es für Deutschland allerdings kein „grüner“ Wasserstoff mehr.
Antwort auf US-Subventionen
Deutschland und Frankreich sind sich einig, daß das US-Subventionspaket IRA (Inflation Reduction Act) der europäischen Wirtschaft schaden kann. Es wird befürchtet, daß europäische Unternehmen diskriminiert werden oder abwandern. Deutschland setzt in erster Linie auf Verhandlungen mit den USA, um Ausnahmeregeln durchzusetzen. Außerdem sollen europäische Subventionen schneller bewilligt und bestehende Mittel besser ausgeschöpft werden. Frankreich denkt darüber hinaus an einen neuen Fonds, von dem auch ärmere EU-Staaten profitieren könnten. Dieser könne auch durch Schulden finanziert werden, meinte Macron unter Verweis auf den Corona-Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro. Deutschland ist darauf bisher nicht eingegangen.
Mehr Unterricht in Französisch gefordert
Sehr kritisch ist auch die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen im Hinblick auf das Erlernen der jeweiligen Fremdsprache: In Frankreich wie in Deutschland gehen die entsprechenden Schülerzahlen massiv zurück – in Deutschland mehr, in Frankreich weniger. Hier müßen die Kultusminister der Bundesländer ihre Bemühungen verstärken und die Lehrpläne überarbeiten. Ein hohes Interesse am Erlernen der französischen Sprache gibt es in Deutschland nur noch im Saarland und in Baden-Württemberg.
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*) Peter Helmes war lange Jahre Mitglied des Kuratoriums des Deutsch-Französischen Jugendwerkes