Bundesjugendspiele: Das neue W-Wort heißt “Wettbewerb”- Niemand soll mehr Sieger sein!

Peter Helmes

Fragwürdiges neues Konzept: „Wettbewerb statt Wettkampf“Die Bundesjugendspiele sollen im nächsten Jahr reformiert werden: vom Wettkampf hin zum Wettbewerb. Die Kinder sollen wieder mehr Freude am Sport und der Bewegung erleben, so lautet die Begründung für die „Reform“. Es  soll bei den jährlich stattfindenden Spielen in Zukunft weniger um den Wettkampf gegeneinander gehen, sondern darum, sich zu bewegen, Freude zu haben und sein Bestes zu geben. Aber auch das löst erneut Diskussionen aus.

Das neue Konzept der Bundesjugendspiele steht deshalb zunehmend in öffentlicher Kritik. So äußerte der sportpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Thadäus König, zum Beispiel (laut Mitteilung von 17.7.23):

Die Bundesjugendspiele sollen aus falsch verstandenem Schutzdenken ihren Wettkampfcharakter verlieren. Statt unsere Kinder mehr und mehr in Watte zu packen, müssen wir sie stärken und dazu befähigen, auch mit Niederlagen umzugehen und die eigene Leistung richtig einzuschätzen.

Diese Fähigkeiten seien für das Leben wichtig, so König.

Spiele ohne Sieger produzieren am Ende nur Verlierer

80 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen bewegen sich laut Weltgesundheitsorganisation zu wenig. Der Sportunterricht in der Schule könne dem entgegenwirken, sagt der Deutsche Sportlehrerverband. Dennoch steht der Sportunterricht immer wieder in der Kritik. Aber niemand kommt am Schulsport vorbei. Für manche absolutes Lieblingsfach, für andere die schlimmste Stunde in der Woche – für manche auch Jahre später eine demütigende Erfahrung. 2015 haben 25.000 Menschen eine Petition unterschrieben, um die Bundesjugendspiele abzuschaffen. Tatsächlich sind Sportspiele aber bei Kindern die beliebtesten Sportarten.

Schule ist keine Freizeiteinrichtung

Spiel und Spaß sind zweifellos wichtig, aber Schule ist vor allem ein Ort zum lernen. Leistung, Disziplin und Durchhaltewillen gehen vor. Denn lernen muß man vor allem fürs Leben. Und dazu tragen auch die Bundesjugendspiele nicht unwesentlich bei. Ärzte beklagen seit langem, daß sich Kinder zu wenig bewegen – Erwachsene auch, aber das ist ein anderes Thema.

Zugleich lehren die Spiele, mit Niederlagen und mit den eigenen Stärken und Schwächen umzugehen. Das Leben besteht eben nicht nur aus Erfolgserlebnissen, sondern aus vielen Auseinandersetzungen. Deshalb wird auch niemand ernsthaft verlangen, eine Mathematikarbeit vom Lehrplan zu streichen, nur weil jemand „Mathe“ für Quälerei hält. Warum sollten für Sportprüfungen andere Regeln gelten? Wenn Kinder ihre sportlichen Fähigkeiten verbessern und Ziele erreichen, steigert das ihr Selbstwertgefühl und das Selbstbewußtsein – geradezu „spielerisch“.

Doch der leistungsunwillige Zeitgeist fordert offensichtlich auch hier Opfer:

Ab dem Schuljahr 2023/2024 werden die jährlich stattfindenden Bundesjugendspiele in Leichtathletik und Schwimmen für alle Grundschulkinder nur noch als bewegungsorientierter Wettbewerb ausgetragen. Im Unterschied zum leistungsorientierten Wettkampf werden die Punkte für Leistungen künftig nicht mehr nach bundesweiten Normgrößen vergeben. Bisher galt der Wettbewerb nur für die Klassenstufen 1 und 2. Die Teilnahme an den Bundesjugendspielen ist bis zur zehnten Klasse verpflichtend. Laut Bundesfamilienministerium sollen die Spiele mit der Wettbewerbsform kindgemäßer werden.

Leistung wohl kaum noch gefragt

So sollen z.B. in Zukunft die Kinder beim Weitsprung nicht nach der eigentlichen Weite benotet werden: Die Sprunggrube wird in Zonen aufgeteilt, je weiter ein Kind springt, desto mehr Punkte erhält es. Und am Ende erhalten weiterhin alle Kinder je nach Leistung eine Urkunde.

Im Kern also gar kein Leistungsmessen mehr – zumindest im Grundschulalter. Das würde vermeintlich vielen Kritikern der derzeitigen Form der Spiele den Hauptkritikpunkt beseitigen: nämlich, daß durch Wettkampfcharakter weniger sportaffine Kinder bloßgestellt werden. Andererseits beklagen nicht wenige Befürworter der Bundesjugendspiele angesichts solcher Forderung, daß Leistung in Deutschland als Wert immer weniger geschätzt wird.

Ein einzelner Tag, an dem es wie bei den Bundesjugendspielen vor allem um Leistung geht, führt aber laut Forschung nicht zu einer lebenslangen Sportabneigung. Und eigentlich will der Sportunterricht ja auch das Gegenteil erreichen. Die Kinder sollen (wieder) für Sport, also für Bewegung, begeistert werden. Und das ist bitter nötig, weil Studien ja sehr deutlich zeigen, daß wir eine große Zahl von Kindern haben, die übergewichtig sind. Und das macht  Bewegungsmangel zu einem großen Thema – nicht nur in der Schule.

Leistungslosigkeit wird zum Prinzip erhoben

Wenn man die Kinder heranwachsen sieht, wenn sie sich draußen beim freien Spiel bewegen, suchen sie eigentlich immer den Wettbewerb. Man kann es nahezu auf jedem Schulhof sehen:  Kinder spielen Fußball um die Wette oder machen Hüpfekästchen. Und wer kommt beim Hüpfekästchen am weitesten? Wer kann beim Seilchenspringen am meisten Umdrehungen hinkriegen? Es sind ja eigentlich immer Vergleiche, also immer kleine Wettbewerbe, die sich Kinder und Jugendliche selbst aussuchen. Für die Kinder sind dabei offensichtlich die persönliche Leistungsverbesserungen wichtig.

Wie Kinder die Bundesjugendspiele finden, dazu gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien. Aber daß sie unentbehrlich sind, liegt auf der Hand – auch wenn die dabei gemachten Erfahrungen zuweilen schmerzhaft für die Kinder sind. Aber darf man deshalb gleich die Spiele abschaffen – als „Schauplätze möglicher Demütigungen“?

Das Leben – das sollte auch und gerade die Schule lehren – ist oft ungerecht; denn man kann nicht immer gewinnen. Das mag man bedauern, aber es ist besser, es möglichst früh zu lernen.

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