Peter Helmes
Annalena Baerbock beklagt, dass es mit der Wirkung der Sanktionen gegen Russland bei weitem nicht so funktioniert hat, wie erwünscht und ist zugleich auf diplomatischer ebene ein Totalausfall / Nancy Faeser, BKA und BfV sind entsetzt, dass sie die russische Propaganda in den sozialen Netzwerken und an anderen Orten nicht in den Griff bekommen / Niemand möchte wirklich wissen, wer North Stream gesprengt hat / In der EU gilt Deutschland weiterhin als Blockierer vieler Projekte mit Blick auf die Ukraine.
Und jetzt auch noch dies: Russland, China, Indien und ein paar Gernegroß-Staaten demonstrieren der EU, dass ihr Einfluss (schon lange nicht mehr) über die Grenzen des einstigen „Europas der Vaterländer“ hinaus wirklich stark ist.
Den anderen BRICS*-Staaten scheint es schnurzpiepegal zu sein, dass sie wirtschaftlich und teilweise auch militärisch Seit an Seit mit einem Mann marschieren, der eine Verschmelzung der schlechtesten Charaktereigenschaften von Alexander dem Großen, Zar Peter I. und Josef Stalin darstellt.
Geld, Macht, Blut
Wohl auch, weil gegen Putin in zahlreichen Ländern ein internationaler Haftbefehl vorliegt, wird der nächste BRICS-Gipfel in Russland stattfinden.
Gestern ließ man die Öffentlichkeit zudem wissen, dass BRICS wohl bald BRICS+ heißen und um sechs “lupenrein demokratische” Staaten erweitert wird: Saudi-Arabien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien.
China (die kommunistisch-kapitalistische Diktatur) und Indien (der pseudodemokratische Kastenstaat) glauben allen Ernstes, mit Wladimir dem Blutigen und einer erweiterten Allianz wirtschaftlich starker oder zumindest aufstrebender Schurkenstaaten die Welt wirtschaftlich und letztendlich vollends beherrschen zu können. Dass dieser Mann so skrupellos wäre, auch sie zu verraten, dürfte ihnen ebenso wenig in den Sinn kommen, wie dem Gastgeberland des aktuellen BRICS-Gipfels. Vielleicht aber sind ihre Führer auch nur genauso skrupellos und gewaltbereit wie der Kriegsverbrecher im Kreml.
Der Traum von einem mächtigen Wirtschaftsreich
In Johannesburg träumt man zumindest dieser Tage von einer neuen Weltordnung. In diesem Traum schließen sich die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika mit anderen Ländern wie Argentinien und Saudi-Arabien zusammen. Seit ihrer Gründung sieht sich die BRICS-Staatengruppe als Verbund aufstrebender Staaten und Wirtschaften.
Ihr Gewicht ist in den vergangenen Jahren gewachsen, seit sich eine multipolare, neue Weltordnung herausbildet und sich das internationale Gefüge zunehmend verändert. Der 15. Gipfel in Johannesburg sollte deshalb eine Signalwirkung entfalten, ob sich der Staatenbund bald um weitere Mitglieder erweitert und an geopolitischem Gewicht gewinnt.
BRICS ist noch inhomogener als die EU
Der Staatenbund besteht aus sehr unterschiedlichen Staaten, von denen einige demokratisch regiert werden und andere nicht. Die fünf Mitglieder sind hinsichtlich ihrer Größe, Wirtschaftskraft und außenpolitischen Rolle sehr verschieden. Aber sie verbindet vor allem der Wunsch nach einer multipolaren Welt, in der sie nicht mehr am Rande stehen und die USA als Supermacht weniger dominieren.
Die BRICS-Staatengruppe sieht sich als Verbund aufstrebender Staaten und Wirtschaften. Ihr Gewicht ist in den vergangenen Jahren gewachsen, seit sich eine multipolare, neue Weltordnung herausbildet und sich das internationale Gefüge zunehmend verändert. Der 15. Gipfel in Johannesburg sollte deshalb auch eine Signalwirkung entfalten, ob sich der Staatenbund bald um weitere Mitglieder erweitert und an geopolitischem Gewicht gewinnt.
China dominiert und ist gleichzeitig Russlands Diener
Die Großmacht China dominiert die Gruppe, schon allein, weil die chinesische Wirtschaft größer ist als die der Volkswirtschaften von Brasilien, Russland, Indien und Südafrika zusammen. Gleichzeitig ist China für alle anderen BRICS-Staaten ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner. Die Übermacht Chinas wird von einigen BRICS-Mitgliedern, wie dem Rivalen Indien, kritisch gesehen, denn man will sich dem weltpolitischen Vormachtstreben Pekings nicht unterordnen.
Die Frage ist u.a, in welchem Umfang China die geplante BRICS-Erweiterung nutzt, um seine Dominanz innerhalb des Bündnisses auszubauen“, sagt die südafrikanische Politikwissenschaftlerin Sanusha Naidu. „Das macht Indien und auch Brasilien nervös.
Seit Jahren fordert Südafrika einen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat, auch als Vertreter des afrikanischen Kontinents. Indien und Brasilien streben ebenso einen Sitz an, inklusive Veto-Recht. Das gemeinsame Ziel der BRICS-Staaten sei nicht die Abschaffung, sondern eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen, betont Südafrikas BRICS-Sonderbotschafter Anil Sooklal.
Zu viele Kuchenesser möchte man nicht an der Tafel haben
China betrachte eine Erweiterung zu BRICS+ als Teil seiner Strategie zur Neugestaltung der internationalen Ordnung und werde dabei von Russland unterstützt, schreiben die Wissenschaftler Günter Maihold und Melanie Müller in ihrer aktuellen Studie „Eine neue Entwicklungsphase der BRICS“ bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Die drei anderen Mitglieder Brasilien, Indien und Südafrika hingegen standen diesem Interesse an einer Erweiterung zunächst sehr reserviert gegenüber, da sie durch eine Aufnahme neuer Mitglieder ihren eigenen Status gefährdet sahen – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich einige wirtschaftlich starke Akteure unter den potenziellen Beitrittskandidaten befinden.
Darüber hinaus befürchteten sie, daß sich das bereits bestehende chinesische Übergewicht verstärken würde.
Diskutiert werden könnte auch eine stärkere Unabhängigkeit vom US-Dollar. Bisher ist die Struktur des BRICS-Bündnisses im Aufbau. Einige Institutionen wurden bereits gegründet – darunter die New Development Bank, die bislang in erster Linie Entwicklungsprojekte finanziert. Sie hat bereits neue Mitglieder aufgenommen: Ägypten, Bangladesch, Uruguay und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Eigene Währungen stärker machen – Gemeinsame Währung noch Zukunftsmusik
Andere sind interessiert, teils explizit, um die Konsequenzen westlicher Sanktionen abzufedern. Zunächst soll der Anteil internationaler Transaktionen in den Währungen der BRICS-Staaten steigen. Eine gemeinsame Währung ist Zukunftsmusik – aber die Dominanz des US-Dollars wollten die fünf Staaten trotzdem brechen, sagt Professor Fulufhelo Netswera von der Universität Johannesburg, Südafrika: „Der US-Dollar hat seine Rolle gespielt, so wie das Britische Pfund oder der Gulden auch“, sagt er. „China und Russland haben bereits bilaterale Abkommen, ebenso Indien und Russland.“ Es gebe zwar Probleme, aber BRICS brauche dieses System. Dabei dürfe allerdings nicht künftig die chinesische Währung dominieren.
Das ist Konsens innerhalb der BRICS. Und Südafrikas Sonderbotschafter Anil Sooklal zufolge werden sich diese strukturellen Veränderungen auf wirtschaftlicher und politischer Ebene weltweit auswirken. „BRICS ist zu einer starken globalen Kraft geworden, die die Welt verändert“, sagt er. „Dieser Wandel kommt nicht freiwillig. Wir werden eine tektonische Veränderung in der globalen geopolitischen Architektur sehen – und zwar beginnend mit dem diesjährigen Gipfel in Südafrika.“
Putin trotz Nichterscheinen bei der Konferenz allgegenwärtig
Weil, wie ich schon mehrfach berichtet habe, die südafrikanische Justiz Putin nach einem vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) erlassenen Haftbefehl bei der Einreise hätte festnehmen müssen, konnte der russische Präsident an dem Treffen nicht selbst teilnehmen. Anders als andere BRICS-Staaten hat Südafrika den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anerkannt und wäre deshalb dazu verpflichtet. Statt Putin sollte Außenminister Sergej Lawrow nach Johannesburg kommen, Putin aber virtuell am BRICS-Gipfel teilnehmen und an allen Diskussionen beteiligt werden, betonte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor bei einer Pressekonferenz in Johannesburg.
Der Auftritt bei dem BRICS-Gipfel ist für die russische Führung so wichtig, weil sie nicht international isoliert dastehen will. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wird als Teil einer Konfrontation mit dem Westen und Kampf um eine neue Weltordnung dargestellt, um im globalen Süden um Unterstützung zu werben.
Dutzende Staaten an einem Beitritt zur BRICS-Gruppe interessiert
Die Annäherung gibt Sinn. Die großen internationalen Institutionen spiegeln die Machtverhältnisse in der Welt immer schlechter wider. Im UNO-Sicherheitsrat sind die ständigen Sitze immer noch den Siegern des Zweiten Weltkriegs vorbehalten. Andere internationale Institutionen, wie die Welthandelsorganisation, sind weitgehend gelähmt. Gleichzeitig ist es allerdings schwer vorstellbar, wie die BRICS-Staaten und ihre neuen Freunde das internationale Kräfteverhältnis im Handumdrehen auf einem Gipfel verändern könnten. Denn die Konflikte zwischen ihnen sind immens.
Wo gehört Indien in der geopolitischen Landschaft überhaupt hin?
Das gilt etwa auch für die vielseitigen Beziehungen Indiens. Indien arbeitet mit China trotz vieler Konflikte zusammen, etwa bei BRICS oder in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Gleichzeitig intensiviert Indien seine Beziehungen zu den USA. So positioniert man sich etwa in dem QUAD-Sicherheitsdialog im asiatisch-pazifischen Raum gemeinsam mit den USA, Australien und Japan gegen China. Für Washington ist Neu-Delhi außerordentlich wichtig.
Indiens Teilnahme an nicht-westlichen Foren wie BRICS oder der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit SCO muß auch als Antwort auf die ungerechten Strukturen von Institutionen der Nachkriegszeit wie dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und dem UNO-Sicherheitsrat gesehen werden. Bezogen auf Entwicklung, Geschichte und Geographie gehört Indien sicherlich zu den BRICS, der SCO und dem globalen Süden. Aber eben nicht nur. Vor allem die überwältigende Präsenz Chinas in diesen Organisationen macht diese nicht gerade zu einer perfekten Wahl. Indien hat Interessen auf beiden Seiten, wird von beiden begrüßt, gehört aber keiner Seite vollständig an. Dies könnte das Land entweder zu einer Brücke machen. Oder aber Indien wird zu einem Opfer der geopolitischen Konflikte. Je schärfer die Trennlinie wird, desto schwieriger wird es für Neu-Delhi sein, das Gleichgewicht zu halten.
Chinas Absichten, also das Ziel von Staatschef Xi Jinping bei dem BRICS-Gipfel, ist die Erweiterung der Gruppe. 23 Staaten, heißt es, haben Interesse an einem Beitritt. Darunter sind die Länder aus dem chinesisch-russischen Lager wie Belarus, Kuba, der Iran oder Venezuela – aber nicht nur. Aus dem Nahen Osten sind die Namen der Öl-Produzenten Kuwait, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu lesen. China nutzt nun seine Position als großer Erdöl-Importeur aus und versucht, den US-Dollar als etablierte Währung im Erdölgeschäft abzuschaffen. Weil in China die Wirtschaft derzeit nicht so läuft wie gewünscht, wird sich Xi wohl noch stärker auf seine Anti-G7-Diplomatie fokussieren. Der Westen sollte gewarnt sein.
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Die Abkürzung BRICS steht für die Anfangsbuchstaben der Mitglieder der informellen Staatengruppe: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Das Kürzel entstand in Reaktion auf die bereits existierenden „G“- Gruppen der reichen Industriestaaten (G7, G8, G20). Seit 2009 gibt es regelmäßige Gipfeltreffen dieser aufstrebenden Länder, die, außer Russland, auch als Schwellenländer bezeichnet werden. Mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung leben in den fünf BRICS-Ländern. Sie tragen mittlerweile stärker zum globalen Bruttoinlandsprodukt bei als die etablierten G7 Industrieländer.