Peter Helmes
Ein Beschluß aus Corona-Zeiten holt die Ampel ein: Das Bundesverfassungsgericht hat über die Umwidmung von Schulden entschieden und der Klage der Union recht gegeben – durch ein wegweisendes Urteil: Der Bund hätte zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder nicht für den Klimaschutz nutzen dürfen.
Die Änderung des Nachtragshaushalts 2021 sei verfassungswidrig, verkündete das höchste Gericht Deutschlands heute in Karlsruhe (15.11.23). Es gehe um die Wirksamkeit der Schuldenbremse, sagte die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, bei der Verkündung. Damit war die Klage der Unionsfraktion erfolgreich.
Scholz: Mal sehen, ob wir nicht doch weiter tricksen können
Bundeskanzler Scholz betonte daraufhin, die Regierung werde den Richterspruch und seine Folge genau auswerten. Dieser habe Auswirkungen auf die Haushaltspraxis des Bundes, aber auch der Länder – und auf den Klimafonds, da nun 60 Milliarden Euro an umgewidmeten Krediten aus dem Jahr 2022 nicht mehr verfügbar seien. Der Wirtschaftsplan des Klimafonds werde deshalb jetzt überarbeitet und wo nötig geändert. „Für uns ist klar, daß das eine Sache ist, die wir gerne im Parlament erörtern“, so Scholz.
Bundesfinanzminister Lindner rechtfertigte das Umwidmen von Corona-Krediten für Klimaschutzmaßnahmen. Man habe dies so umgesetzt, „wie nach bestem fachlichem Rat wir es verfassungsrechtlich für verantwortbar gehalten haben“.
Lindner: Die Schuldenbremse, die ich aushebeln wollte, muss endlich eingehalten werden
Mit dem Urteil hat sich das Verfassungsgericht erstmals umfassend zu den Ausnahmen der Schuldenbremse und zu Sondervermögen geäußert. Das habe „weitgehende Auswirkungen auf Staatspraxis und Haushaltspolitik von Bund und Ländern“ (Lindner). Deshalb werde es nun genau ausgewertet.
Konkret ging es bei dem Verfahren um den zweiten Nachtragshaushalt von 2021, beschlossen mitten in der Corona-Zeit. Anfang 2022 verschob Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch einmal 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt des Vorjahres: Kredite, die eigentlich zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gedacht waren, aber nicht gebraucht wurden, wollte die Ampel-Koalition in den Klimaschutz stecken.
Das Geld wurde nachträglich in den Energie- und Klimafonds gebucht – ein Sondervermögen, das inzwischen Klima- und Transformationsfonds heißt (KTF) und wirtschaftlich getrennt vom sonstigen Haushalt verwaltet wird. Aus diesem Fonds bezahlt die Regierung langfristige Investitionen für mehr Klimaschutz. Finanziert werden zum Beispiel Fördermittel für die klimafreundliche Sanierung von Wohnhäusern und den Austausch alter Öl- und Gasheizungen. Der Fonds soll außerdem Bürger und Unternehmen bei den Strompreisen entlasten.
Habeck: Ich fürchte die Grünen sind … äääh Deutchland ist jetzt erledigt!
Einschneidend sind die Konsequenzen jetzt, weil das Gericht die Umwidmung der 60 Milliarden Euro für ungültig erklärt hat. Das Geld im KTF steht jetzt nicht mehr zur Verfügung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte noch im Juni gesagt, das würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen. Es würde bedeuten, „daß uns der Fußboden weggezogen wird, auf dem wir versuchen, die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu stabilisieren“. (dpa)
Mit dem heute verkündeten Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts also klargestellt und entschieden, daß das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2 Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig ist.
Die antragstellenden Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion wandten sich in ihrer Klage gegen die rückwirkende Änderung des Haushaltsgesetzes und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021. Mit diesem sollte eine im Bundeshaushalt 2021 als Reaktion auf die Corona-Pandemie vorgesehene, jedoch im Haushaltsjahr 2021 nicht unmittelbar benötigte Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro durch eine Zuführung an den „Energie- und Klimafonds“ (EKF), ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes, für künftige Haushaltsjahre nutzbar gemacht werden. Die Zuführung erfolgte im Februar 2022 – also rückwirkend – für das abgeschlossene Haushaltsjahr 2021. Der EKF wurde zwischenzeitlich in „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) umbenannt.
Kein guter Tag für die Feinde des Grundgesetzes
Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an notlagenbedingte Kreditaufnahmen. Der Senat stützt seine Entscheidung auf drei, jeweils für sich tragfähige Gründe:
- Erstens hat der Gesetzgeber den notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt.
- Zweitens widerspricht die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig.
- Drittens verstößt die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.
Dieses Manöver hatte es der Ampel-Koalition ermöglicht, die Schuldenbremse in den Jahren 2023 und – so ist es bisher geplant – auch 2024 wieder einzuhalten, nachdem sie von 2020 bis 2022 vor allem wegen der Corona-Epidemie ausgesetzt war. Und genau dieses Manöver beanstandeten die Unionsabgeordneten in Karlsruhe.
Die Entscheidung hat zur Folge, daß sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muß der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.
Das Urteil ist die erste Karlsruher Entscheidung zur 2009 in Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz (GG) eingeführten Schuldenbremse.
Lindner: Noch besteht Hoffnung, dass mir ein neues illegales Manöver einfällt
Mitglieder der Unionsfraktion zogen wegen des von ihnen so genannten „Schuldentricks“ der Ampel vor Gericht. Sie kritisierten, die Bundesregierung lade sich auf Vorrat die Taschen voller Geld, Lindner umgehe so bewußt die Schuldenbremse im Grundgesetz. Das sei nicht ehrlich; denn ohne das Geld aus dem Sonderfonds müßten für die Klimaprojekte an anderer Stelle viele Milliarden eingespart werden.
Lindners erste Maßnahmen sind
- Die 60 Milliarden Euro auch bisher nicht genutzter Kreditermächtigungen werden gelöscht.
- Lindner hat den Wirtschaftsplan des Klimafonds gesperrt. Davon ausgenommen sind Maßnahmen zur Förderung Energieeffizienz und erneuerbaren Energien im Gebäudebereich.
- Die Ampel stellt sofort einen neuen Wirtschaftsplan für den Klimafonds ab 2024 auf.
Das Arbeitsessen mit den Verfassungsrichtern hat diesmal nichts gebracht
Für die Bundesregierung ist die Entscheidung der Verfassungsrichter eine herbe Niederlage. Das nicht benötigte Corona-Geld war nachträglich in den Energie- und Klimafonds gebucht. Das ist ein Sondervermögen, das inzwischen Klima- und Transformationsfonds KTF heißt und getrennt vom sonstigen Haushalt verwaltet wird.
Die 60 Milliarden Euro hat das Bündnis von SPD, Grünen und FDP fest für den Klimaschutz eingeplant. Das Geld sollte in Förderprogramme für Heizungstausch, Sanierung und Halbleiterindustrie fließen Nun wird ein riesiges Finanzierungsloch aufgerissen.
Aber vermutlich bliebe die Bundespolitik handlungsfähig. Ein Haushaltskollaps droht jedenfalls nicht. Es wäre dann aber keine rechtliche, sondern eine politische Frage, wie diese Handlungsfähigkeit hergestellt wird. Wird Finanzminister weitere Jahre ohne Einhaltung der Schuldenbremse ertragen oder wird er auf massive Kürzungen bei den Klima-Ausgaben und/oder im übrigen Haushalt dringen?