Michael van Laack
Möge die Adventszeit für uns auch in diesem Jahr eine Zeit der Besinnung sein. Trotz alledem! Auch und vor allem trotz des täglich überall deutlicher sichtbar werdenden schlechten Zustands zahlreicher Institutionen, auf die wir über viele Jahrzehnte vertrauen konnten und vertraut haben, weil nahezu alles, was sie taten, zum Wohl der Bürger unseres Landes geschah; weil sie Sicherheit, Wohlstand, Freiheit und Orientierung nicht nur versprachen, sondern garantierten.
Über viele Jahrzehnte hatten sie den ganzen Menschen im Blick und nahmen ihn und seine Bedürfnisse wahr, reduzierten ihn nicht auf die Funktionen, in denen er aus wirtschaftlicher oder finanzpolitischer Sicht für Staat und Gesellschaft monetäre Vorteile bringt.
Asoziale Politiker, machtgeile Medienvertreter, glaubensschwache Kleriker
Aktuell sehen wir eine wachsende Zahl von Verantwortungsträger in Staat, Gesellschaft und Kirche, die nicht mehr ganz bei Sinnen zu sein scheinen, die rücksichtslos ihre eigenen Interessen oder die einer kleinen Klientel durchsetzen, die nicht mehr das große Ganze im Blick haben und nur noch selten zu einer Folgeabwägung fähig sind. Sie machen einfach, denn sie sind ja „Macher“; und wenn es schiefgeht, machen sie halt etwas anderes. Auf jeden Fall muss es etwas Neues sein. Auf Altes und Bewährtes zurückzugreifen gilt ihnen als Zeichen von Gestaltungsschwäche.
Verantwortung für ihr Handel und ihre Fehler übernehmen sie kaum mehr. Schon eine einfache ehrliche Entschuldigung kommt fast niemandem mehr über die Lippen; ihr Amt auf- und anderen zu übergeben, die möglicherweise qualifizierter sind oder andere Lösungsansätze bieten, lehnen sie immer häufiger ab. Einzig und allein das Ziel des Erhalts ihrer individuellen Macht ist es, was ihr Tun und Lassen beherrscht.
All diese Entwicklungen vor Augen habend ist es leider folgerichtig und aufgrund der zahlreichen negativen Vorbildern im Entscheiderbereich mittelfristig kaum mehr umkehrbar, wenn auch viele Christen, deren DNA neben Glauben und Liebe aus Hoffnung besteht, getrieben von Ängsten und Enttäuschungen sowohl mit Blick auf den Staat, das Umfeld am Arbeitsplatz und den Familien- bzw. Freundeskreis eben diese Hoffnung und als infolge des hoffentlich nur temporären Verlustes das Wesentliche aus dem Blick verlieren.
Damit endet der “weltliche” Teil dieses Adventsartikels und es beginnt der “fromme” Abschnitt.
Heute möchten wir unseren Lesern – wie bereits zu anderen liturgischen Höhepunkten des Kirchenjahres – Texte von Autoren vorstellen, deren Werke in den vergangenen Jahrzehnten gewissermaßen verdunstet sind, ohne dass adäquater Ersatz gefunden werden konnte. Denn in der Gegenwart gehört leider zu fast jeder Adventsbetrachtung aus den einstmals unverbrüchlich römisch-katholischen Verlagen (wie z. B. Herder, Freiburg i. Br.) mindestens ein Querverweis auf Buddha oder Allah. Einfach nur ein weiteres Mal liturgisch auf die Ankunft des Erlösers zu warten (der doch schon längst da ist, meinen sie), sei ebenso langweilig wie antiökumenisch und schon auch ein wenig islamophob.
Für heute habe ich aus meiner Bibliothek die kurze Einführung (A.) in die Adventszeit von Peter Morant (Das Breviergebet, Deutsche Ausgabe des Breviarium Romanum – Band 1: Advent bis Dreifaltigkeitssonntag, Freiburg, 1964) gewählt. Daran angeschlossen einige Gedanken (B.) von Franz Xaver Reck (Das Missale als Betrachtungsbuch, Erster Band, Freiburg, 1909) zum Evangelium des Sonntags. Letztere ist besonders gut geeignet für alle alten und jungen „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“-Fans.
A. Vorbereitung auf die erste und zweite Ankunft Christi
Die Menschheit erfährt Gott dadurch, dass Er aus dem Dunkel der Verborgenheit heraustritt und Seine ewigen Heilspläne in der Zeit an ihr vollzieht. Bei aller Einheit und Geschlossenheit dieser Heilsgeschichte, in der Er jeden einzelnen Menschen aus der Verlorenheit der Sünde zu sich heimholt, lassen sich mehrere Entwicklungsstufen erkennen. Die entscheidendsten sind die Menschwerdung des Gottessohnes und die alles Weltgeschehen abschließende und vollendende Wiederkunft des Herrn.
Die Vorbereitung und der Anstieg zur ersten Stufe war das Alte Testament, und die Wegbereitung zur Parusie ist die ganze messianische Zeit. Die pilgernde Kirche als Ganzes und jeder Gläubige im Besondern haben immer wieder Grund, sich jährlich mit alttestamentlicher Sehnsucht auf das Kommen Jesu im Fleische vorzubereiten, also in Buße und Freude Advent zu feiern, weil unser Ja zur gnadenvollen Begegnung mit Ihm immer wieder verblasst und doch für die Annahme der Erlösung entscheidend ist.
Auf solche Weise erleben wir die Ankunft des Herrn in Gnade und Kraft und gewinnen die entsprechende innere Verfassung und Ausrichtung für die glorreiche Ankunft des ewigen Richters.
Jesaja, Maria, Johannes: Auch sie waren (Er)Wartende
Der Doppelcharakter des Advents: Vorbereitung auf das Kommen des Herrn in der menschlichen Geburt und Sein Kommen zur Endvollendung, steht im Brevier-Gebet wie in der Messliturgie am ersten Adventsonntag im Vordergrund (vgl. Parusie-Erwartung in der 3. Lesung der Matutin und in allen Kapiteln dieses Tages) . Die übrigen Sonntage und alle Wochentage sind von der Blickrichtung auf Weihnachten beherrscht. Als Sprecher und Dolmetsch der altbundlichen Messias-Erwartung tritt in den Wechselgebeten und Antiphonen und vor allem in den Lesungen der Matutin der Prophet Isaias auf (mit gewissen Auslassungen liest die Kirche das ganze Buch).
Als unmittelbarer Wegbereiter des Heilandes erhebt Johannes der Täufer in den Evangelien der drei letzten Sonntage seine mahnende Stimme. Am Fest der Unbefleckten Empfängnis und am Mittwoch und Freitag der Quatember-Woche tritt Maria, die seligste Jungfrau und reine Mutter des Gottessohnes, bescheiden und erhebend vor das Auge des Beters. Drei große Gestalten führen uns in der Stille der lieblichen, erwartungsvollen Adventszeit zu Christus hin: der alttestamentliche Evangelist und Prophet Isaias, der ernste Bußprediger Johannes und die gütige, liebenswürdige Gottesmutter. Sie wecken in unserer Seele einen Dreiklang von seltener Harmonie: Sehnsucht, Buße und Liebe, und untermalen alle auf ihre Weise die Vaterunser-Bitte: Es komme Dein Reich!
B. Gedanken zum ersten Adventssonntag
Lesung: Röm 13, 11-14 / Evangelium: Lk 21, 25-33
Der Herr redet vom Weltgericht; diese Rede fällt in seine letzten Lebenstage, da die Stunde nahe war, wo er von einem menschlichen Gericht als Übeltäter gerichtet und verdammt werden sollte. Er hatte sein Ende längst vor Augen. Und da es unmittelbar nahe war, redet er vom Weltende und Weltgericht und lässt keinen Zweifel, dass dieser Tag kommen wird und kommen muss und er selbst der Richter sein wird und sein will.
Am Ende also wird die Welt doch noch das Fürchten lernen. Man hat nichts gefürchtet im Leben oder hat gefürchtet, was zu fürchten nicht nötig, am Ende gar unwürdig war. Man hat nur einen nicht gefürchtet: Gott den Herrn. Nun lernt man seine Furcht noch am Ende der Tage. Wäre man klug gewesen, man hätte mit ihr begonnen, nicht geendet, dann wäre das Ende gewiss ein anderes.
Gehört denn aber die Furcht Gottes in das Leben des Menschen hinein? Ist sie wirklich ein Element der göttlichen Pädagogik – auch die Furcht vor Gericht und Verdammnis? Dass sie dies ist, ergibt sich klar aus den Worten des Herrn: ‚Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in der Hölle zu verderben vermag.‘ (Mt 10, 28).
Fürchtet Euch nicht so sehr vor Gott, sondern mehr vor Euch selbst!
Wenn es uns aber anstößig erscheint, dass selbst Christus, sonst so milde, uns diese Furcht zumutet, so liegt der Grund hiervon nicht in Gott, sondern in uns. Gott ist seinem Wesen nach die Liebe: Deus caritas est (1. Joh 4, 16) – und sein Verhältnis zu uns ist Offenbarung dieser Liebe. Und unser Verhältnis zu ihm? Es soll Bestätigung unserer Liebe sein! Derselbe göttliche Heiland, welcher gebietet: ‚Fürchtet vielmehr jenen, der Seele und Leib in der Hölle zu verderben vermag‘, hat auch das Gebot bestätigt: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben aus Deinem ganzen Herzen…“ (Mk 12, 30).
Wenn wir dieses Gebot akzeptieren und befolgen, kann der Herr auf das Gebot der Gottesfurcht verzichten: denn das Gebot der Liebe ist, wo es beachtet und befolgt wird, Gottes und des Menschen würdiger. Aber auch am Gebot der Furcht vor Gericht und Verdammnis haftet nichts Gottes Unwürdiges; er verlangt diese Furcht nicht, damit er gefürchtet sei, denn er will geliebt werden; aber er verlangt dieselbe, damit wir durch sie den Schrecken der Verdammnis entgehen und verlangt sie von uns Menschen, weil er uns besser kennt, als wir uns selbst kennen!