Marcel Schimmelpfennig (Hauptteil) / Michael van Laack (Einführender Teil)
Seit das unklare oder besser wirre Schreiben des Dikasteriums für die Glaubenslehre mit dem Titel “Fiducia supplicans” kurz vor Weihnachten plötzlich und unerwartet das Licht der Welt erblickte, haben sich überdurchschnittlich viele Berufskatholiken zu Inhalt und Deutung geäußert. Die meisten Kardinäle, Bischöfe, Professoren und andere Universitätslehrer des Westens begrüßten zwar das Schreiben, doch selbst ihre Euphorie hielt sich in Grenzen, weil die Widersprüche im Dokument sie freiwillig ansprangen; sie mussten also nicht einmal oberflächlich nach ihnen suchen.
Aus fast allen afrikanischen Diözesen und Bischofskonferenzen sowie aus Nordamerika, Asien und Osteuropa hörten und lasen wir scharfe Ablehnung, ja regelrechtes Entsetzen über einen Text, der weder Fleisch noch Fisch ist und sich vergebens bemüht, den gordischen Knoten zu zerschlagen oder besser: den Spagat formvollendet auszuführen, mit dem auf der einen Seite die Lehre der römisch-katholischen Kirche zur Homosexualität unangetastet bleiben und zum anderen den auf dem “Synodalen Weg” befindlichen Deutschen ein Stück Fleisch hingeworfen werden kann, damit anders-katholische Tiger wie Bätzing, Overbeck oder Marx dem Vatikan nicht in die Kehle zu beißen versuchen (Schisma).
Wird das bereits seit Jahrzehnten gefühlte Schisma bald Realität?
So oder so brennt die Luft, die Spaltung des Weltepiskopats in dieser Frage ist unübersehbar. Wie der Vatikan die Lage befrieden kann (ob er es überhaupt will), wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.
Ich selbst habe mir allerdings in den vergangenen Tagen eher die Frage gestellt: Wie geht es eigentlich denen, auf deren Rücken wir um die Lehre der Kirche kämpfen? Für wie viele homosexuelle Menschen ist es überhaupt wünschenswert, einen wie auch immer gearteten Segen zu erhalten?
Und was erwarten jene, die um einen solchen Segen aus welcher Motivation auch immer dringend bitten, von der Kirche? Erwarten Sie, dass die Kirche um ihretwillen das ganze Lehrkonstrukt von den Füssen auf den Kopf stellt? Wollen sie ohne viel Aufhebens abseits der Öffentlichkeit ihre Beziehung oder ihr Leben segnen lassen? Oder wünschen sie sich einen pseudosakramentalen Segen mit viel Lametta und unter dem Beifall der jeweiligen kommunalen Medien?
Es wird viel über Betroffene geredet…
Diese Fragen gingen mir in den letzten Tagen durch den Kopf und nicht mehr aus ihm heraus. Auf queer.de, der von politisch linken und Crystal Meth nicht abgeneigten Redakteuren bespielten größten deutschsprachigen Plattform für “queere” Menschen fand ich dazu nur das erwartbare Gewäsch, und auch in den „sozialen“ Netzwerken war von den üblichen Verdächtigen (die ich ein wenig abfällig Berufsschwule nenne) kaum etwas zu lesen.
Gestern stieß ich dann allerdings zufällig auf den Facebook-Beitrag eines Mannes, mit dem ich auf Twitter schon manche Gedanken zur politischen und innerkirchlichen Situation ausgetauscht habe und den ich sehr schätze, obwohl wir politisch nicht beieinanderstehen.
…und viel zu wenig mit ihnen!
Seine Gedanken möchte ich den conservo-Lesern nicht vorenthalten, denn es sind die Gedanken eines Katholiken, den die Debatte direkt betrifft. Er ist also einer von jenen, über die man viel und mit denen man kaum redet: im progressiven Lager nicht, weil er nicht deren radikale Forderungen unterstützt – im konservativen/traditionalistischen Lager nicht, weil Schwule einfach nur Pfui-Bäh und Sünder sind, die Gott täglich mehrfach auf den Knien danken sollten, dass er sie die Luft unserer schönen Welt überhaupt noch atmen und nicht umgehend zur Hölle fahren lässt.
Nach dieser (zu?) langen Einführung soll nun Marcel Schimmelpfennig zu Wort kommen:
Seit einer Woche geistert “Fiducia supplicans” (Das flehende Vertrauen) durch die katholische Welt und hat alle möglichen Reaktionen hervorgerufen. Man musste kein Hellseher sein, um vorauszuahnen, dass die Medien daraus eine riesige Sache machen, die sich bei näherer Betrachtung aber kaum als Neuigkeit herausstellt. Tatsächlich steht im Grunde nichts neues in dieser Handreichung: Die Ehe wird nur zwischen Mann und Frau geschlossen; die Ehe ist unauflöslich; was keine Ehe ist, ist entsprechend nicht gottgewollt; was Sünde ist, bleibt Sünde.
Nimm, lies und verstehe – Die meisten Bischöfe können das nicht!
In den Zeitungen hieß es “Vatikan erlaubt Segnungen homosexueller Paare”, die Assoziation mit einer rituellen, gottesdienstlichen Segnung wie es etwa in den protestantischen kirchlichen Gemeinschaften der Fall ist, war naheliegend. Entsprechend falsch wurde dieses Lehrschreiben interpretiert – seltsamerweise aber auch von den Bischöfen hierzulande, von denen ich mir schon erhofft hätte, dass sie zunächst lesen, was sie bejubeln.
Um das vorwegzunehmen: Ich finde den Inhalt richtig, wie er dort steht. Das pastorale Anliegen tritt deutlich hervor und die Barmherzigkeit im Ton ist spürbar. Letztlich wird das Schreiben der Tatsache gerecht, dass im Grunde wider jeder Erwartung Menschen in irregulären Beziehungen sich dennoch an die Kirche wenden und sie um ihren Segen, ihren Beistand bitten. Das ist in jeder Hinsicht positiv. Und die Kirche entscheidet sich zu sagen: “Ich sehe auch dich, und ich lasse dich nicht allein”!
Das muss sie nicht, weil es im Grunde genauso überflüssig ist wie die Formuliewrung “schwarze Rappen” – auf der anderen Seite muss man seinem Partner eigentlich auch nicht ständig “Ich liebe dich” sagen, weil es ja selbstverständlich sein SOLLTE – und man tut es dennoch immer wieder aufs Neue!
Fiducia supplicans ist ein Spaltpilz
Nun erlebe ich im Zuge der Diskussion rund um FS, dass eigentlich Weggefährten nun beginnen, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Die einen, weil sie das Anliegen des Heiligen Vaters um jeden Preis verteidigen wollen und dafür sogar so weit gehen, gegenläufige Meinungen als “Ungehorsam dem Papst gegenüber” zu diskreditieren und die kritisierende Person als “unbarmherzig” und “homophob” zu brandmarken. Die anderen, weil sie berechtigte Kritik haben, jedoch sich so missverstanden fühlen, dass sie ihren Tonfall in der Diskussion immens verschärfen und so eine bedrohliche Aura in ihren Texten entwickeln – ohne dieses zu beabsichtigen, freilich!
Um Klartext zu sprechen: Es ist sicher kein Zeichen antipäpstlichem Ungehorsams, wenn man Fehler in einem Anliegen sieht und diese ganz klar und eindeutig kritisiert. So bin ich selbst völlig unglücklich mit dem Zeitpunkt und der Wortwahl des Lehrschreibens. Man muss trotz allem bemängeln, dass niemand sich genug Mühe gegeben hat, sich eindeutig und unmissverständlich zu allen Fragen zu äußern.
Die nachgeschobenen Erklärungen sind ein klarer Beweis dafür. Denn wenn ich meine Aussage erklären muss, war sie nun mal nicht gut – das ist der simpelste Grundsatz in jeder Kommunikation. Wir müssen also nicht so tun, als wäre “Fiducia supplicans” nun der ganz große Wurf und über jeden Zweifel erhaben.
Das Lehrschreiben kam einfach zu einem absolut schlechten Zeitpunkt, daran gibt es nichts zu diskutieren. Es wirkt wie der unbeholfene Versuch einer Oma, dem Enkel etwas Zuneigung zukommen zu lassen. Das Lehrschreiben hätte einen weit besseren Rahmen in der Synode im kommenden Oktober gehabt. Dort hätte sie auch besprochen und beraten werden können. Ich weiß nicht, was den Glaubenspräfekten zu einer so überstürzten Aktion veranlasst hat.
Man sollte die “Latte der Rechtgläubigkeit” allerdings auch nicht zu hoch aufhängen, da sonst die Gefahr besteht, dass man irgendwann selbst nicht mehr darüber hinwegkommt. Der Heilige Vater ist und bleibt der Heilige Vater, ob einem das nun gefällt oder nicht. Er ist sicher kein herausragender Theologe wie es Benedikt war; er ist ein Pfarrer mit aller Überzeugung. Und ich bleibe bei meiner Aussage, dass Franziskus der Pfarrer war und ist, den die Welt im Augenblick braucht.
Für homosexuelle Paare ändert das Dokument … Trommelwirbel … Nichts!
Was ändert sich denn eigentlich nun für mich durch “Fiducia supplicans”? Ums. kurz zu machen: NICHTS! Wie ich schon eingangs sagte, steht in dem Schreiben nicht viel mehr drin, als ich nicht sowieso schon wusste.
Auch nach FS werde ich mit meinem Partner mein Leben verbringen, werde ihn aufrichtig lieben und mich um ihn sorgen, wie er es auch für mich tut. Ich kann trotz allen Wissens um die Lehre der Kirche nun einmal keine Entscheidung gegen mein Herz treffen und ein Leben in keuscher Einsamkeit führen.
Ich bin, so wie ich bin, von Gott gewollt und gerufen. Letztlich war ER es, der mir meinen Partner schickte, welcher mich zurück in die Kirche holte. Das allein bestärkt mich darin zu erkennen, dass allgemeine Gebote, die in allen Punkten unantastbar sind und bleiben nicht immer Eins zu Eins anwendbar auf das Individuum sind.
Lassen wir uns nicht entzweien!
Überdies gibt es auch kein Gebot, welches von mir Einsamkeit verlangt. Der Katechismus redet von Keuschheit, nicht Einsamkeit. Und ob ich das wirklich halten kann, das geht allein mich, meinen Mann, unsere Beichtväter und den Allmächtigen selbst etwas an, der der letzte und einzige Richter über mein Leben sein wird. Alle anderen werden mir schlicht vertrauen müssen. Vertrauen wiederum ist etwas, was die Kirche langsam zu lernen beginnt – und diese Entwicklung kann nur begrüßt werden.
Ich werde nach FS gewiss nicht zum Pfarrer rennen und um einen Segen bitten. Ich denke nicht, dass mich dieser Sondersegen mehr bestärkt als es der Schlusssegen am Ende der Messe vermag.
Hören wir bitte wieder damit auf, uns gegenseitig Schlagworte wie “homophob”, “ungehorsam”, “unbarmherzig” oder „antipäpstlich“ um die Ohren zu pfeffern – wir alle wissen sehr genau, dass sie in solchen Diskussionen einzig und allein deswegen fliegen, weil sie verletzen.
Wir sollen, wir MÜSSEN miteinander streiten. Denn nur in der Diskussion und im Interagieren zwischen zwei Polen kann die Mitte gefunden werden, die zur Wahrheit führt. Aber streiten wir doch nicht wie hilflose Rüpel, die nichts als ihre Fäuste zum Argumentieren kennen.