(www.conservo.wordpress.com)
Von Adrian F. Lauber *)
Nach langen Jahren war ich vom 21. bis 26. Mai 2018 wieder einmal in Polen, der Heimat meiner Familie mütterlicherseits. Man weiß ja nie, wann die Chance auf ein Wiedersehen mit Menschen unwiederbringlich verpasst ist, also fuhr ich hin.
Ungelogen: Schon am Montag, dem ersten Tag meines Aufenthalts, wurde ich in Krakau auf die deutsche Politik angesprochen. Mein Onkel wollte von mir wissen, was Deutschland bloß davon habe, all die Flüchtlinge bzw. Einwanderer aufzunehmen.
Er hatte über seine Frage offensichtlich gar nicht nachdenken müssen. Er stellte sie spontan, frisch von der Leber weg.
Aber wenn man gerade aus Deutschland kommt, ist das eine Frage, die einem buchstäblich den Boden unter den Füßen wegziehen kann, weil man sie nicht gewohnt ist.
Nun muss man freilich unterscheiden: Wenn es um echte Flüchtlinge, also Menschen aus Kriegsgebieten oder politisch Verfolgte, geht, verbietet sich die Frage nach dem Eigennutz. Menschen in Not muss man helfen und hat dann nicht zu fragen „Und was springt für mich dabei raus?“
Aber wie wir alle wissen, geht es in Deutschland um etwas anderes. Die Themen Asyl und Zuwanderung sind längst durcheinandergeworfen worden. Wer aus einem ärmeren Land hierher kommt, wird pauschal unter „Flüchtlinge“ verbucht. Es geht offenkundig nicht darum, bedrohten Menschen auf Zeit Schutz zu geben, es geht um hunderttausend- oder sogar millionenfache (und illegale) Umsiedlung hierher. Auf Dauer. Möglicher Weise für immer.
In einer solchen Situation ist es legitim und lebensnotwendig für ein einigermaßen intaktes Land, sich selbst zu fragen: Und was haben wir davon? Mit wem haben wir es überhaupt zu tun? Kommen Leute, die in etwa unsere Wertvorstellungen teilen? Haben sie etwas Produktives zu unserem Land, zu unserer Gemeinschaft beizutragen? Sind sie integrierbar? Können sie oder spätestens ihre Kinder eines Tages unsere Landsleute werden?
Jedes normale Land würde so fragen. Mein Onkel sprach aus einem gesunden Selbstbewusstsein und Selbstbehauptungswillen heraus, der vielen Deutschen restlos ausgesaugt worden ist.
Auch Polen hat Einwanderer, auch Polen ist ebenso wenig wie Deutschland ein ethnisch homogener Staat. Aber die Polen sind stolz auf ihr Land und ihre Kultur – ganz besonders jetzt, wo sich die wieder erlangte Unabhängigkeit des Landes zum einhundertsten Mal jährt.
Dass Traditionen und kulturelle Identität in diesem Land viel stärker gepflegt werden als in Deutschland, kann man schon im Straßenbild sehen. Ich habe nicht nachgezählt, wie oft ich in diesen wenigen Tagen auf Krakaus Straßen Nonnen und Mönche in ihren traditionellen Gewändern gesehen habe. (Was mich doch irgendwie angerührt hat, obwohl ich nicht gläubig bin.)
In Deutschland dagegen? Ach, da muss ich lange überlegen, wann ich zuletzt auf offener Straße einen katholischen oder einen evangelischen Geistlichen in voller Kriegsbemalung gesehen habe. Ich kann mich nicht bewusst daran erinnern.
Nun will ich die Zustände in Polen beileibe nicht idealisieren. Auch dieses Land hat Probleme, auch die Polen schimpfen viel (und mit Recht) auf ihre Politiker. Zudem stehe ich der regierenden konservativen Partei distanziert gegenüber. (Meine Verwandtschaft offenbar auch, soweit ich das raushören konnte. Ich habe niemanden gefragt, ob und wen er wählt.) Den Konservatismus und das nationale Selbstbewusstsein bewerte ich positiv, aber leider hat diese Partei ganz eindeutig einen Zug zum aggressiven Nationalchauvinismus.
Wie mir meine Verwandten erzählten, sind wir Deutschen das Feindbild dieser Partei. Als Scherz fragte ich, ob diese Leute ihren Wählern etwa erzählen, dass wir Deutschen demnächst Schlesien zurückzuerobern gedenken. Nein, das nicht.
Aber wir Deutschen sind jetzt der Sündenbock für die europäische Selbstzerstörung.
Auch und vor allem aufgrund unserer wahnsinnigen Migrationspolitik. Die Unfähigkeit und der Unwille Brüssels, Europa zu verteidigen, spielen auch eine Rolle. Die EU steht in keinem guten Ansehen – und das schlägt wiederum auf Deutschland zurück, da wir (zu Recht) als einer der führenden Treiber der EU-Zentralisierung und der Abschaffung nationalstaatlicher Demokratie wahrgenommen werden.
Auch historische Erfahrungen spielen eine Rolle. Polen wurde in den Jahren 1772, 1793 und 1795 von Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt und verschwand restlos von der Landkarte. Erst 1918 erlangte es seine Unabhängigkeit und staatliche Identität zurück, geriet dann aber 1939 zwischen die zwei totalitären Großmächte Deutschland und die Sowjetunion, die das Land binnen Wochen unterwarfen. Auf die brutale Besatzung der selbst ernannten arischen Herrenmenschen folgte ein Dasein als Vasall des Sowjetreiches.
Die Polen sind sehr empfindlich, wenn es um Verletzungen ihrer nationalen Identität und Unabhängigkeit geht. Das ist zwar historisch verständlich, führt aber auch zu Überreaktionen und manchmal zu Hysterie. Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit der Polen uns Deutsche ernsthaft noch als Bedrohung empfindet, aber auf der Rechten wird an solche Ressentiments appelliert, und es wird den Menschen gezielt Angst gemacht. (Ganz abgesehen davon, dass es in Polen auch noch ein Antisemitismus-Problem gibt, aber das ist ein Thema für sich. Das würde jetzt zu weit führen.)
Pardon, das war eine Abschweifung. Weiter im Text:
Nur zwei Tage später, am Mittwoch, entbrannte die nächste lebhafte Diskussion. Ich war zu Besuch bei anderen Verwandten in einer kleinen Gemeinde nordöstlich von Krakau. Wir saßen in kleiner Runde zusammen, und die erste Frage, die mein Großonkel, der überlebende Bruder meines Großvaters, an mich richtete, war, was denn bloß mit Deutschland und den Einwanderern los sei.
Binnen weniger Minuten kam richtig Leben in die Bude. Keine der Anwesenden konnte verstehen, was in die Deutschen gefahren ist.
Zufällig las die Frau meines Großonkels auch gerade ein Buch zum Thema Islam und war somit ganz gut im Bilde. Für sie war es nichts Neues, als ich vom Import des islamischen Fundamentalismus und des Judenhasses sprach.
Auch wenn es überspitzt und polemisch war, meinte ich es im Kern durchaus wörtlich, als ich der Verwandtschaft sagte, dass heute durch Europa eine Trennlinie verläuft, nämlich die Oder. Westlich davon ist Europa verrückt geworden, östlich davon ist es noch einigermaßen intakt und gesund.
Ich sagte, dass einer, der konservative Werte vertritt, in Deutschland heute schnell im Verdacht steht, rechtsextrem zu sein.
Meine Großtante sagte daraufhin einen Satz, den ich – glaube ich – nie vergessen werde: „Man muss doch konservativ sein, um sich und seine Werte behaupten zu können.“
Das mag auf den ersten Blick nach einer zu simplen Pauschalisierung klingen, aber je mehr ich über diese Worte nachdenke, desto mehr ergeben sie einen Sinn, wenn man von der ursprünglichen Bedeutung der Worte ausgeht.
„Conservare“ heißt „bewahren“ oder „erhalten.“ Wer also eine Kultur verteidigt oder ein bestimmtes Wertesystem, wer für bestimmte Prinzipien eintritt, die er gewahrt wissen will, der möchte ich etwas bewahren, am Leben erhalten. (Das müssen übrigens keineswegs Werte sein, die man gemeinhin als konservativ wahrnimmt. Das können durchaus auch linke Werte sein oder was auch immer.)
Einer Werthaltung oder der Verteidigung von Werten haftet schon grundsätzlich etwas Konservatives an, selbst wenn derjenige, der da etwas verteidigt, sich selbst nicht unbedingt als konservativ versteht. Jedenfalls ist das meine Meinung, andere mögen es anders sehen.
Ich fühlte mich in Polen schnell so, als ob ich in eine andere Welt mit einer ganz anderen Mentalität eingetaucht sei. Ich spürte, dass die Polen überhaupt nicht begreifen können, was Deutschland sich antut. Sie verstehen diese wolllüstige Selbstzerstörung und die Selbstaufgabe nicht. Befremden und Ratlosigkeit, das herrschte im Raum, als ich von Deutschland heute erzählte. Die Polen denken halt völlig anders. Der deutsche Nationalmasochismus muss ihnen absurd vorkommen.
Gleich am nächsten Tag fand ich es – wieder in Krakau – erneut bestätigt, als weitere
Verwandte ziemlich genauso reagierten wie die auf dem Land.
Die Zeit, die nicht schon für Verwandtschaftsbesuche oder Spaziergänge durch Krakau verplant war, nutzte ich, um endlich ein Buch zu lesen, das mir jemand schon vor einer ganzen Weile geschenkt hatte: „Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel“ von Tuvia Tenenbom.
Übrigens sehr zu empfehlen! Eine so eindringliche Beschreibung des Israel-Palästina-Konflikts und des modernen Antisemitismus, wie er von den Radikalen im Orient, aber auch von gutmenschlichen Europäern und ihren Förderern gepflegt wird, findet man nicht alle Tage.
Was mich allerdings an diesem Buch erschüttert hat, ist, dass – sofern Tenenboms Einschätzung zutrifft – der Selbsthass unter den Juden weiter verbreitet zu sein scheint, als ich angenommen habe.
Jüdischer Hass auf sich selbst und auf Israel sind für mich nicht neu. Damit habe ich mich schon befasst, aber ich bin fest davon ausgegangen, dass das ein vernachlässigbares Randphänomen ist.
Nach der Lektüre von Tenenboms Buch bin ich nicht so sicher. Als ich es am Donnerstagabend ausgelesen hatte, hatte ich einen Kloß im Hals. Als ich mich schlafen legte, kreiste der Gedanke durch meinen Kopf, dieser Selbsthass in Israel möge doch bitte, bitte, bitte nur die Sache einer Minderheit sein.
Der Selbsthass kann Nationen in den Untergang treiben.
Tuvia Tenenbom schreibt in seinem Buch: „Ich persönlich liebe die Palästinenser (…) weil die Palästinenser stolz auf ihre Identität sind, habe aber keinen Respekt für Selbsthasser, ob sie jüdisch sind oder schwarz.“ (S. 247)
Das entscheidende Stichwort ist „Respekt.“
Wir sich selbst hasst, kann niemals erwarten, respektiert zu werden. Wer sich klein macht, wird früher oder später die Verachtung seiner Umwelt ernten.
Tenenboms Liebe zu den Palästinensern ist für mich angesichts des grassierenden Judenhasses, der ja ein zentrales Thema seines Buches ist, nur bedingt nachvollziehbar, aber irgendwie verstehe ich, was er meint. Personen wie Dschibril Radschub, denen er begegnet ist, treten voller Stolz und respektheischend auf und hinterlassen damit natürlich einen viel besseren Eindruck als jemand, der sich selbst geißelt.
Das gilt nicht nur für Israel, sondern auch für Deutschland, an das ich während des Lesens ständig gedacht habe.
Und das, während ich mich in einem Land aufhielt, für nationalen Selbsthass keinerlei Verständnis aufbringt. Es war eine merkwürdige Situation.
Heute kehrte ich nach Deutschland zurück. Nachdem ich über die Grenze war, lief ein deutscher Radiobericht über die Bedrohung, die von den Rechten in Osteuropa ausgeht. Da wusste ich: Ich bin zu Hause, da wo man auf Selbstbewusstsein und EU-Skepsis nur eine Antwort hat.
Wieder zu Hause angelangt, schaltete ich den Laptop ein, um ein paar Nachrichten zu lesen, was ich während des Polen-Aufenthalts nicht getan hatte. (Es war übrigens ungemein wohltuend, nichts, aber auch gar nichts von den Merkels, den Hofreiters, den Göring-Eckardts, den Steinmeiers und all den anderen zu sehen oder zu hören.)
Kaum im World Wide Web angekommen, lese ich, dass der britische Islam-Kritiker Tommy Robinson verhaftet worden ist. Die dafür abgegebene Erklärung erscheint mir äußerst fadenscheinig zu sein. Wie hieß das bei Mao Zedong? Bestrafe einen und erziehe hundert.
Spätestens jetzt weiß ich: ich bin wieder westlich der Oder angekommen. Der Alptraum hat mich wieder.
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Siehe auch:
Stefan Molyneux (Freedomain Radio): „Tommy Robinson Arrested and Imprisoned, Media Silenced | True News“ (Veröffentlicht: 26.5.2018) https://www.youtube.com/watch?v=irhQtamQ6Mo
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Lauren Southern: „Tommy Robinson Sent to Prison“ (Veröffentlicht: 26.5.2018) https://www.youtube.com/watch?v=tRt-iFANWKg
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Ein Kommentar, den ich dazu im Netz gefunden habe, lautete so:
“The British government is DETERMINED to CRUSH DISSENT and PROP UP PRO-ISLAM POLICY. They ALSO seek to CRUSH BREXIT. They are PRO-EU AUTHORITARIANS.”