China: der Alleinherrscher Xi Jinping und sein „ chinesischer Traum“

 (www.conservo.wordpress.com)

Im Auftrag eingestellt von EH

Dieter Farwick

Von Dieter Farwick, BrigGen a,D, und Publizist

Im Jahre 2018 hat der Verfasser bereits den Kommentar „ China zeigt seine Muskeln“ geschrieben, der am 21.1.18 im Blog www.conservo.wordpress.com erschienen ist.

Seither hat sich in und um China so viel Wichtiges ereignet, dass ein weiterer Kommentar angebracht erscheint. Dieses Jahr feiert China das 70jährige Bestehen der Kommunistischen Partei. Eine Geschichte mit grandiosen Erfolgen und schlimmen Niederlagen.

Allerdings kann das China von heute nur richtig verstanden und beurteilt werden, wenn man die gesamte Geschichte Chinas bis zur Gründung der Kommunistischen Partei betrachtet.

Die wechselvolle Geschichte China

 In dem „ Magazin für Geschichte“ GEOEPOCHE „ Das kaiserliche China“, Nr.93, wird die Geschichte Chinas detailliert in allen Facetten des öffentlichen Lebens beschrieben:

„ Mehr als 2000 Jahre überdauert das Reich der chinesischen Kaiser. Ein Staat, der immer wieder von Bürgerkriegen zerrissen wird – aber in dem es dennoch zu einer außergewöhnlichen Blüte von Kunst und Kultur, Technik und Wissenschaft kommt“.

In seiner Geschichte entwickelt sich im „ Reich der Mitte“ eine Hochkultur, die allen 14 Nachbarn und den Kulturen des Westens – den „ Barbaren“ – weit überlegen ist.

Dieses Gefühl der Überlegenheit einer „Hochkultur“ hat sich nachhaltig auf den „ Volkscharakter“ und das „ Selbstwertgefühl“ ausgewirkt, was heute häufig von den Nachbarn als „ Hochmut“ und

„ Arroganz“ und „ Aggressivität“ ausgelegt wird.

Hier kann nur an einigen Meilensteinen die Entwicklung aufgezeigt werden:

# In den Jahren 1200 v. Chr. – 1912 beherrschten nacheinander – und gegeneinander – 15 Dynastien das damalige China, das 221 v. Chr. von Qin, dem ersten Kaiser Chinas zu einer Einheit zusammengeführt wurde. Er ist der Begründer der Qin-Dynastie ( 221 – 206 v. Chris)

# „ Um 1000 n.Chr ist China der reichste Staat der Erde und technisch anderen Ländern um Jahrhunderte voraus. Seine effiziente Bürokratie wird von Elitebeamten geführt, den Mandarinen. Zu den berühmtesten zählt Shen Kuo, der zahllose Aufgaben im Namen des Kaisers übernimmt, sich etwa mit dem Bau von Deichen beschäftigt, aber auch wissenschaftlich forscht – u.a. zum Erd- magnetismus, zu Chemie, Mathematik, Archäologie, Geologie und Astronomie.“ (Siehe GEOEPOCHE Seite 73)

# „Eine gewaltige Flotte aus 317 Dschunken mit insgesamt 27870 Mann Besatzung sticht 1405 in See. Die Armada soll den Bewohnern ferner Länder die Macht des Kaisers demonstrieren und Chinas Einfluss in der Welt verbreiten. Unter dem Kommando des Admirals Zheng He………………………………………………………………………………………………….. “.

( Siehe GEOPOCHE Seite 118)

# 1271 „Der Mongolenherrscher Kublai Khan, ein Enkel Dschingis Khans, erklärt sich zum chinesischen Kaiser und etabliert die Yuan-Dynastie ( 1271-1368). China steht zum ersten Mal in seiner Geschichte vollständig unter Fremdherrschaft.“ ( Siehe GEOEPOCHE Seite 118)

# 1433 „Admiral Zheng He stirbt, am Kaiserhof setzen sich jene Beamten durch, die dessen Machtfülle kritisierten und Kontakte zur Außenwelt für schädlich halten. Sie beenden die Epoche einer überseeischen Expansion. Sie zerstören die Flotte, die auch durch ihre Berichte bei Hofe zu der Erkenntnis führte, dass alle Menschen außerhalb Chinas Barbaren sind.

Damit verspielt China die Gelegenheit, noch vor den europäischen Entdeckern eine Vorherrschaft im Indischen Ozean zu etablieren.“ ( Siehe GEOEPOCHE Seite 119)

# 1759 China hat seine größte Ausdehnung erreicht ( Siehe GEOPOCHE Seite 120) # 1839 Erster Opiumkrieg ( Siehe GEOPOCHE Seite 120)

# 1856 Zweiter Opiumkrieg

# 1876 Nach Ernteausfällen aufgrund von Dürre kommt es in Nordchina zu einer Hungersnot, der 13 Millionen Menschen zum Opfer fallen, vor allem Landarbeiter und Kleinbauern. Denn die Äcker sind meist zu klein, die Pachtzinsen oft zu hoch – und der Staat zu schlecht organisiert, um helfen zu können. „ ( Siehe GEOEPOCHE Seite 121)

# 1900 „ Überall in Nordchina haben sich..Widerstandsgruppen gebildet. Sie werden von den Ausländern „ Boxer“ genannt, weil sie sich mit Faustkämpfen für den Krieg zu stärken versuchen….

  1. August. Nach wochenlangen Kämpfen erobern westliche Truppen Beijing und töten bei Straf- expeditionen mehr als 100.000 Chinesen. Damit endet der Boxeraufstand.“ ( Siehe GEOPOCHE Seite 122)

# 1901 „Das „Boxer-Protokoll“ vom 7. September, ein weiterer Diktatfrieden der westlichen Nationen, legalisiert die Stationierung ausländischer Truppen in China und erlegt dem Kaiserreich eine Geldstrafe von 17.000 Tonnen Silber auf. Die gigantischen Reparationszahlungen, für die China bis 1910 etwa die Hälfte seines Vermögens aufwenden muss, tragen maßgeblich zum finalen Niedergang des Imperiums bei. ( Siehe GEOPOLITIK Seite 122)

# 1912 „Mit der Abdankung Puyis ( am 10. März) endet die 2133 Jahre währende Geschichte des cinesischen Kaiserreichs.“ ( Siehe GEOPOLITIK Seite 122)

Die wenigen Zahlen machen deutlich, dass 1800 eine entscheidende Zäsur in der Geschichte Chinas darstellt. Für China begann die Zeit der tatsächlichen und empfundenen Demütigung, die noch heute eine wichtige Triebfeder der heutigen Politik ist. Der „ chinesische Traum“ von Xi Jingping hat hier seinen Ursprung. Er ähnelt der Parole von Donald Trump. Für ihn heißt die Parole allerdings „ Make China great again.“

Was China in den Jahren von 221 v. Chr. bis 1912 geschafft hat, ist eine unglaubliche Leistung – trotz des Niederganges ab 1800. Dieses Trauma ist durchaus vergleichbar mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die Vladimir Putin als die „ größte geopolitische Katastrophe des 20.

Jahrhunderts“ bezeichnet. Beide Präsidenten – Xi Jingpin und Putin – wollen die Demütigungen, die ihre Staaten erlitten haben, aus den Geschichtsbüchern löschen und sie zur früheren Stärke zurückführen. Für Xi Jingping ist dies die Schaffung und Verwirklichung des „chinesischen Traums“.

Chinas langer Marsch

Nach dem Zerfall des Kaiserreiches zerbrach die Einheit Chinas. Es zerfiel in Provinzen, die sich zum Teil gegenseitig bekämpften. Es herrschte Bürgerkrieg.

Dominierend für die spätere Entwicklung China wurde der erbitterte Kampf zwischen den regierenden Nationalisten – Kuomintang – und den Kommunisten. Die Regierungstruppen umkreisten die Kommunisten in ihrer „ Sowjetregion Jiangxi“, die ihnen als Basis diente.

Vor der drohenden Niederlage starteten die Kommunisten ihren „ Langen Marsch“, der noch heute als Symbol der Partei für Stärke und Widerstandskraft dient.

Tatsächlich war der „ Lange Marsch“ ein nicht geplanter Rückzug, wenn nicht sogar panische Flucht vor den überlegenen Kuomintang.

Im Oktober 1935 erreichte Mao Zedong, mittlerweile der oberste Heerführer, mit seiner getreuen Gefolgschaft von nur noch 6000 Menschen die Provinz Shaanxi im Norden, um dort zu regenerieren. In der Höhlenstadt Yanan baute er das Hauptquartier der Kommunisten auf. Durch seine „ Erfolge“ auf dem „ Langen Marsch“ konnte Mao Zedong frische Kräfte rekrutieren und ausbilden. Er konnte das Kriegsglück wenden und zum Ende des 2.Weltkrieges die Kuomintag zur Flucht auf die Insel Taiwan – damals Formosa – zwingen.

( Ein wichtiger Einschub: China betrachtet noch heute Taiwan als „ Provinz Chinas“. In seiner Neujahrsansprache im Januar 2019 bekräftigte Xi Jingping den Anspruch Festlandchinas auf die Insel Taiwan. Er wiederholte, dass „ Festlandchina“ weiterhin die „ Wiedervereinigung“ anstrebe

– wenn notwendig auch mit dem Einsatz militärischer Mittel. Die Umsetzung dieser Drohung ist wenig glaubwürdig. Zum einen ist Taiwan ein wirtschaftlich starkes Land, das seine Unabhängigkeit verteidigen will – mit Hilfe der Garantiemächte USA und Japan. Zum anderen gibt es enge wirtschaftliche Verflechtungen, die beiden Staaten nutzen. Außerdem gibt es auf beiden Seiten der „Straße von Formosa“ eine große militärische Aufrüstung mit modernen Waffen, die bei einem Angriff Festlandchinas Verluste auf beiden Seiten verursachen würden. Warum soll China dieses Risiko tragen, zumal sich die finanzielle und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Taiwan stetig verbessert?)

Zu der in China empfundenen Demütigung in den dreißiger Jahren haben auch die beiden

Japanisch-Chinesischen Kriege beigetragen, als deren Ergebnis Japan große Teile Chinas besetzt hat

– inkl. eines unvorstellbaren Massakers an der chinesischen Bevölkerung in Nanking- der Kuomintag-Hauptstadt.

Die Besatzung Chinas durch japanische Streitkräfte endete mit Japans Kapitulation am 15. August 1945.

Die Beziehungen zwischen Japan und China sind noch immer schwer belastet, zumal China die enge Bindung Japans an die USA als „ Eindämmung“ betrachtet.

Die KPCh gründete am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China – zugleich das Gründungsjahr der Partei, die in diesem Jahr ihr 70 jähriges Bestehen feiert.

Allerdings gibt es nicht nur Erfolge zu feiern, sondern es mussten auch herbe Rückschläge verkraftet werden.

Die Geschichte Chinas von 1949 bis 2019

Die Geschichte Chinas und der KPCh ist in den 70 Jahren nicht gradlinig verlaufen. Die chinesische Bevölkerung hat für den erstaunlichen Erfolg einen hohen Preis gezahlt – und zahlt ihn weiter.

Seit Jahren wird in westlichen Demokratien die Frage gestellt: Wie lange kann China den Spagat zwischen „ kapitalistischer“ Wirtschaft und der Diktatur der KPCh aushalten? Eine „kapitalistische“ Wirtschaft braucht den Wettbwerb der Individuen und Konzerne, sie braucht ein Mindestmaß an Freiheit des Denkens in der Wissenschaft und eine ausreichende Kreativität, sie braucht Risikobereitschaft und eine Kultur des Streitens in der Sache, um Fortschritte zu erzielen.

Es waren drei Ereignisse, die China existentiell bedroht haben: der Koreakrieg von Juni 1950 bis Juli 53, in dem China und Russland auf der Seite Nordkoreas standen und bis auf einen kleinen Zipfel mit der Hafenstadt Busan im Südosten Koreas die Halbinsel erobert hatten. Über diesen „ freien“ Hafen erfolgte der Aufmarsch der Vereinigten Staaten von Amerika, der zur Rückeroberung fast der gesamten Halbinsel führte. Die Linie des Waffenstillstandes wurde entlang des 38. Breitengrades in einem Abkommen festgelegt.

Bis auf kleinere Scharmützel wurde diese Linie auf dem Land von beiden Seiten respektiert. China gilt als Schutzpatron Nordkoreas, auch wenn dessen Einfluss in der Vergangenheit häufig überschätzt wurde. Es ist allerdings kein Zufall, dass das nächste Treffen zwischen Donad Trump und Kim Jong Un Anfang des Jahres 2019 unmittelbar nach dessen Besuch in Peking verkündet wurde.

Maos „ Großer Sprung nach vorne“

Der von Mao Zedong 1957/ 58 befohlene „ Große Sprung nach vorne“ endete in einer Katastrophe für das chinesische Volk. Der Schwerpunkt lag auf der Entwicklung der Industrie. Die Landwirtschaft wurde umstrukturiert. Allerdings kam es durch Missernten zu landesweiten Hungersnöten mit rd. 30 Millionen Toten. Ein herber Rückschlag.

Maos „Große Proletarische Kulturrevolution“ 1966 – 1971

Diese „ Revolution“ war de facto eine riesige Säuberungsoperation. Ihr fielen die Rivalen Maos sowie besonders die „ Elite“ , die Bauern und Grundbesitzer zum Opfer.

Wer von dieser Gruppe nicht sofort ermordet wurde, wurde zur harten und ungewohnten Arbeit auf das Land oder in Arbeitslager geschickt.

Unter Zwangsarbeit, Folter, Mord und Totschlag litten Millionen Chinesen. Da es keine offizielle Aufarbeitung gibt, schwanken die Opferzahlen zwischen einstelligen und hohen zweistelligen Millionen Menschen.

Eines ist jedoch unumstritten: China hat in seiner Entwicklung einen riesengroßen Rückschlag erlitten, dessen Folgen noch heute zu spüren sind. Besonders im intellektuellen und kulturellen Bereich sowie im Unternehmertum.

Der Wechsel von Mao zu Deng Xiaoping

Nachfolger von Mao – er starb 1976 – wurde der von ihm empfohlene Hua Guafeng, der nach einem Interregnum von fünf Jahren von Deng Xiaoping abgelöst wurde – nach harten internen Machtkämpfen.

Jetzt begann eine neue Zeit für China und seine Bevölkerung – allerdings unter dem Dach der KPCh.

Die KPCh feierte erste Erfolge – in der Politik, Wirtschaft und Kultur. In der Gesellschaft gab es mehr individuelle Freiheit – bis zum 3./4. Juni 1989.

Viele Jugendliche – besonders Studenten – veranstalteten Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Das „System“ sah sich ernsthaft gefährdet und herausgefordert. Man fürchtete eine Ausweitung des gewaltfreien Aufstandes.

In dieser Situation befahl Deng Xiaoping die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes durch das Militär – mit dem Einsatz von Panzern, die wehrlose Demonstranten überrollten – und der Polizei. Die Demonstranten, die in der Umgebung des Platzes Nischen der Sicherheit suchten, wurden verfolgt und in großer Zahl getötet.

Die Zahl der Opfer wird in den meisten Quellen angegeben: mit rd. 2600 Toten und rd. 7000 Verwundeten.

Auch am 3./4, Juni 2019 – dem 30. Jahrestag des Massakers – werden umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden, um jeden Ansatz von friedlichen Demonstrationen zu unterbinden – wie in den zurückliegenden 30 Jahren.

Das Massaker wird in der Öffentlichkeit tabuisiert. Es gibt keine Berichte in den Medien und keine Erinnerungsplaketten.

Ein Urteil über die Entscheidung Deng Xiaopings gibt es nicht.

Ihm wird hoch angerechnet, dass sein „ Sprung nach vorne“ großen Erfolg gebracht hat. Durch seine „ Öffnung“ Chinas wurde die Grundlage geschaffen für politischen und wirtschaftlichen Aufstieg, der der großen Mehrheit der 1,3 Milliarden Chinesen ein besseres materielles Leben ermöglicht. In der Wahrnehmung persönlicher Menschenrechte hat sich jedoch nichts geändert – eher im Gegenteil.

China – der totale Überwachungsstaat

Die rasante Entwicklung in der Wissenschaft und Technolgie – z.B. die Entwicklung modernerer Digitalisierung in Verbindung mit der breiten Anwendung „Künstlicher Intelligenz“ hat primär ein Ziel: Die permanente, lückenlose Überwachung der Bevölkerung – nicht nur der rd. 800 Millionen Nutzer des Internets. Diese liefern dem Staat – bewusst oder unbewusst – einen Ozean persönlicher Daten, die nicht nur Fakten des Alltages, sondern auch Wünsche und persönliche Ziele offenbaren – inkl. des Konsumverhaltens.

Ein besonderer Brennpunkt ist die westliche Provinz Xinjiang, in der neben den herrschenden Han- Chinesen rd. 10 Millionen Uiguren leben – zehn Prozent davon in chinesischen sog.

„ Umerziehungslagern“. Diese Uigruren sind Muslime und bilden die Urbevölkerung der westlichen Provinz. Sie lehnen sich immer wieder gegen die „ importierte“ Herrschaft der Han-Chinesen auf.

In der westlichen Provinz sind Gesichts-, Körper- und Bewegungserkennung mit Hilfe ungezählter Kameras perfektioniert. Innerhalb von Sekunden können Menschen identifiziert werden. Besonders interessant ist, wenn Uiguren an einem Ort identifiziert werden, an dem sie sich illegal aufhalten.

Sie werden ohne Gerichtsverhandlung in ein Umerziehungslager gebracht – ohne Zeitbegrenzung. Das Erkennungssystem soll eines Tages ganz China abdecken.

Jeder chinesischer Bürger hat ein persönliches Punktekonto, das mit einem Guthaben von 100 Punkten beginnt. Jedes gute Verhalten wird mit Pluspunkten versehen. Fehlverhalten führt zu Minuspunkten, die mit Sanktionen verbunden sind – z.B. Reiseverbote innerhalb Chinas und ins Ausland, Entfernung von der Universität bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes, der häufig mit Hausarrest verbunden ist – auch für die Angehörigen.

Es ist erstaunlich, was von den „ gläsernen“ Menschen in dem totalen Überwachungsstaat dennoch geleistet wird. China ist weder „ smart“ noch „ soft power“. Es stützt sich auf „ hard power“. Es ist kein Wunder, dass es wenige junge und qualifizierte Menschen im Westen gibt, die sich um einen Aufenthalt in China bewerben.

Dabei hat der Alleinherrscher Xi Jingping selbst im „ Mittleren Westen“ Nordamerikas studiert und ermöglicht das auch seiner Tochter in den Vereinigten Staaten – wie andere reiche Chinesen es mit ihren Kindern auch tun.

Die Forderungen nach Reformen – besonders bei den ineffizienten Staatsbetrieben -, Öffnung und Liberalisierung in allen Bereichen, die vereinzelt erhoben werden, werden bestraft.

Die KpCh hat Wirtschaft und Gesellschaft fest im Griff. Das gilt besonders für den auf Lebenszeit gewählten Parteiführer Xi Jingping – dem unumstrittenen Alleinherrscher.

Der Zusammenbruch der Sowjeunion und anderer kommunistisch geführter Staaten hat ihm die Gefahren von eigener Schwäche und die Kraft von Liberalisierung aufgezeigt, wenn man die Tür zur Demokratisierung auch nur einen Spalt öffnet.

Von der Werkbank zur Künstlichen Intelligenz

 Die Verlagerung von Produktionsstätten nach China war den niedrigen Produktionskosten geschuldet. China wurde zur „Werkbank“ des Westens degradiert. Dabei übersahen die meisten ausländischen Firmen die fatalen Folgen der sog, “ Joint venture“, die den chinesischen

„ Partnern“als conditio sine qua non den Zugang zur gesamten vorhandenen Technik und zu der Entwicklung fortschrittlicher Technologie erlaubte. Zu Beginn erwiesen sich die Chinesen als besonders begabte Kopierer – eine in China hoch angesehene Kunst.

Ausländische Unternehmer nahmen Rechtsunsicherheit und „ Raub des geistigen Eigentums“ in Kauf – mit Blick auf die verlockenden Gewinne.

Mittlerweile belegt China Spitzenplätze in der Wirtschaft und Industrie – z.B. E- Mobilität, schnelle Internetverbindungen mit breiter Anwendung der Künstlichen Intelligenz In der Wissenschaft und im Verkehrswesen es hat Europa – und besonders Deutschland – abgehängt. In der gesamten Breite kämpft es nur noch mit Amerika um den Platz an der Sonne.

Es ist auffällig – und beruhigend für uns -, dass westliche Beobachter zu der Bewertung kommen, dass die Kreativität der chinesischen Wissenschaftler an ein Limit kommt, da ihnen der Austausch und der Wettbewerb mit ausländichen Spitzen der High-tech- Entwicklungen fehlt. Sie machen dies auch fest an der vergleichsweise geringen Zahl von wissenschaftlichen Preisen und Auszeichnungen, die chinesische Wissenschaftler im Vergleich mit in Amerka arbeitenden Wissenschaftlern erhalten. Dazu zählt auch der Nobel-Preis.

Es gibt noch eine andere Bewegung – raus aus China, zurück in die Heimat.

Der Fachbegriff lautet Re-Shoring, was in den Vereinigten Staaten als „ Re-Industrialsierung“ bereits eine große Rolle spielt.

Da die Produktionskosten in China gestiegen sind und die Transportkosten in der Kostenkalkulation auch eine größere Rolle spielen sowie die beklagte Rechtsunsicherheit und der mangelnde Schutz für das „geistige Eigentum“ als „ Wettbewerbsverzerrung“ bewertet werden, rechnet es sich wieder, in den Vereinigten Staaten, in Europa – oder in Deutschland – zu produzieren.

Dies ist der Anfang einer Entwicklung, die in Zukunft beachtet werden muss.

Ein Urteil über den Stand der chinesischen Wirtschaft lautet, dass erste Bremsspuren zu verzeichnen sind, die sich auch im „ Handelskrieg“ zwischen China und den Vereinigten Staaten zeigen.

Das Wachstum soll 2018 zum ersten Mal nach 28 Jahren zurückgegangen sein.

Es gibt in China jedoch keine Anzeichen dafür, dass strategische, mittel- und langfristige Ziele geändert werden.

„ 10 Säulen-“ und „one belt, one road-Strategie“ wieder gedacht als „Sprünge nach vorn“.

Als Alleinherrscher – ohne Einfluss und Kontrolle durch Politibüro und Zentralkommittee – denkt Xi Jinping mittel- und langfistig. Dafür legt er ein umfassendes Konzept vor, wie diese Ziele zu erreichen sind. Eine Kontrolle durch Medien und Parlament oder NGOs gibt es nicht. Nachdem er starke Rivalen um die Macht auch durch den Vorwurf der Korruption ausgeschaltet hat, mittlerweile wichtige Posten durch Männer seiner Wahl ersetzt hat, der Volkskongress seine Ziele und Strategien abnickt, hat er keine erkennbare Opposiion. Das heißt nicht, dass sich das nicht ändern kann, wenn die chinesische Wirtschaft nachhaltig schwächelt oder er sich durch seinen rigorosen Führungsstil Feinde schafft.

Für die „ 10 Säulen- Strategie“ gilt das Ziel 2030

 Auf dem Gebiet der Spitzentechnologie hat er „10 Säulen“ bestimmt, die bis 2030 mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Ressourcen jeweils zur Weltspitze gehören sollen.

Diese „ Säulen“ sind:

# Maschinen für die Landwirtschaft # Schiffbau und Meerestechnik

# Energieeinsparung und Elektromobilität

# Informations- und Kommunikationsanlagen

# High-end gesteuerte Werkzeugmaschinensysteme und Robotertechnik

# Elektrizitätsanlagen

# Anlagen für Luft- und Raumfahrtechnik # neue Werkstoffe und Materialien

# moderne Anlagen für den Schienenverkehr

# Biomedizin und High-Performance Medizingeräte

Ein ambitioniertes Programm.

In jüngster Zeit gab es zwei spektakuläre Fortschritte:

# In der Raumfahrt gelang China am 3. Januar 2019 die erste Landung des Satelliten Chang’e-4 auf der erdabgewandten Seite des Mondes. Bewertung des „ Spiegel“ : „ Die Landung auf dem Mond war nur der Anfang – China ist vom Weltraumfieber erfasst, das nächste Ziel ist der Mars. ( siehe der „Spiegel“, „ Großer Bär“,vom 12.1.2019)

# Die rasante Entwicklung in der E-Mobilität inesiche Entwicklungen lehrt auch die deutschen Autobauer das Fürchten. Sie erkennen, dass sie den Anschluss verloren haben. China wird ihnen klare Vorgaben für den Bau von Elektroautos geben. Man spricht von einem Drittel in naher Zukunft. Dies hat heute bereits Folgen für die deutsche Zulieferindustrie, denn Elektroautos weisen deutlich weniger Bauteile und dadurch auch geringere Produktionskosten auf. Kürzungen der Arbeitsplätze auch in Deutschland zeichnen sich bereits ab.

Das Schlüsselwort der Entwicklung heißt: Künstliche Intelligenz, worunter der Einsatz lernfähiger Maschinen verstanden wird, die auch im militärischen Bereich von zunehmender Bedeutung ist.

Wenn man das 10-Säulen-Programm Chinas mit den „ Absichten“ deutscher und anderer europäischer Regierungen mit der Realität in China und in den USA – vergleicht, entsteht die Gefahr der Resignation.

Während in Deutschland noch über ethisch-moralische Fragen der „ Künstlichen Intelligenz“ mit viel Zeit und Energie diskutiert wird, wird der technologische Vorsprung anderer Staaten immer größer.

Es entsteht die Gefahr, dass deutsche Autofirmen zu Zulieferfirmen nicht nur in Asien degenerieren. Die gute Nachricht: Die Luft in deutschen Städten wird wieder besser.

Chinas „ one belt – one road- Strategie“

Am 2.1.2019 brachte das ZDF eine zweiteilige Dokumentation mit dem Titel: „ Chinas Griff nach Westen“, die wichtige Einblicke in die chinesischen Ziele seiner Sicherheits- und Außenpolitik gewährte.“ Das britische Magazin „ The Economist“ brachte den Leitartikel „ Red Moon rising ?“ am 12. Januar 2019. Ein Zufall?

Das größte Projekt Chinas heißt „ Digitale Seidenstraße“. Ein sorgfältig ausgewählter Titel für ein gigantisches, offensives Unternehmen. „Seidenstraße“ weckt die Erinnerung an die ehemaligen Verbindungswege zwischen China und dem Mittelmeer. Eine friedliche Verbindung für den Handel von China nach Europa und einen regen Kulturaustausch – eine vorweggenommene „ Globalisierung“.

„ Digitale Seidenstraße“ wird verkauft als die moderne Re-Inkarnation der alten Seidenstraße, die zu einem beliebten Ziel deutscher Urlauber geworden ist.

Das ist die Kulisse für die strategisch orientierte Politik Chinas, die mit dem Ausbau einer vielfältig angelegten Infrastruktur zu Wasser, zu Lande und in der Luft die chinesischen Fangarme nicht nur nach Europa, sondern auch nach Asien, den Nahen/ Mittleren Osten und Afrika ausstreckt. Es gibt mehrere Wasserwege und Fernstraßen und Flugverbindungen, die unabhändig von einander genutzt werden sollen.

Mittlerweile sollen über 60 Länder an diesem Programm teilnehmen – inkl. Deutschland. In Duisburg an Rhein und Ruhr soll der größte Binnenhafen Europas entstehen. Der größte Umschlagplatz für Güter von und nach China.

Wer soll das bezahlen? Am Beispiel Sri Lankas beschreibt die ZDF-Dokumentation vom 2.1. 2019 und der „ Spiegel“ vom 5. Januar 2019 sehr anschaulich, wie China die Finanzierung gestaltet. Sehr clever.

In den geographisch und geostrategisch wichtigen Ländern stellt China seine Vorstellungen zu der gewünschten Infrastrukturentwicklung vor: Seehäfen, Flughäfen, Schienennetze und Fernstraßen. Besonders Entwicklungsländer zeigen Interesse – wie auch Sri Lanka, das bereits heute eine wichtige Drehscheibe im maritimen Handel zwischen Ost und West darstellt – an der Verbindung zwischen dem Suezkanal und der Straße von Malakka. Im Jahre 2018 wurden in dem Hafen von Colombo mehr als sieben Millionen 20-Fuß- Container umgeschlagen: Sie führten die Schätze der Moderne mit sich: iPhones für den Westen und Maschinen aus Europa.

Darüber hinaus ist Sri Lanka bereits heute ein Konfliktherd zwischen den asiatischen Weltmächten China und Indien.

Die Zinsen für die großzügigen chinesischen Kredite betragen marktübliche 12 Prozent.

China profitiert besonders dann, wenn das Land – wie z.B. Sri Lanka – die Zinsen nicht mehr aufbringen kann. Die Lösung: Sri Lanka verpachtet den zweiten Hafen und ein Stück Land mit einem Flughafen für 99 Jahre kostenfrei an China. Der Flughafen ist seit zwei Jahren fertig – allerdings ohne Fluggäste und ohne Flugverkehr – dennoch eine günstige chinesische Investition in die Zukunft. ( Siehe „ Der Spiegel“ in dem Beitrag „ Weiße Elephanten“ vom 5.1. 2019.)

Die entscheidende Frage: Droht ein Krieg zwischen China und den USA ?

Der Verfasser verfolgt seit 50 Jahren die globalen sicherheitspolitischen Ereignisse und Entwicklungen.

In den letzten zwanzig Jahren trafen solche Ereignisse auf geringes politisches und politisches Interesse.

Die Wehrpflicht wurde ohne grundsätzliche Debatte de facto ausgesetzt. „ Wir waren von Freunden umzingelt“ motivierte Friedensdividenden vielfältiger Art. Die Bundeswehr wird als Folge von Fachleuten als „ strukturell nicht einsatzfähig“ bezeichnet. Die Berichte über das Versagen der Regierung und über desolate Zustände bei Personal und Material wurden kommentiert „ So, what?“ Dieses Desinteresse änderte sich durch die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim und durch die Zurschaustellung militärischer Stärke in China und Russland. Es änderte sich auch die Rhetorik:

In seiner Neujahrsadresse an das chinesische Volk forderte Xi Jingping die Einverleibung von Taiwan – der „abtrünnigen Provinz“ – wenn nötig auch unter Einsatz militärischer Kräfte und Mittel.

Der russische Präsident verkündete den erfolgreichen Abschuss einer Rakete mit einer Reichweite von 6000 Kilometern und mehrfacher Schallgeschwindigkeit, gegen die es keine Abwehr gäbe. Wunsch oder Realität?

Plötzlich schrillten in Redaktionsstuben und Büros die Alarmglocken.

Viele Menschen wurden aus dem Wunschtraum „ Ewiger Frieden“ gerissen und gerieten in Panik. Es wurden keine nüchternen Fragen gestellt, es ging um Emotionen, die in dieser Frage – wie die Angst vor dem 3.Weltkrieg – schlechte Ratgeber sind.

China und Russland haben in denletzten zwanzig militärisch aufgerüstet und den Abstand zu den USA verkürzt, die dennoch auf absehbare Zeit die „ Militärmacht Nr.1“ bleiben.

Es wird weiter Kriege auf der Erde geben – durch technische Fehler oder menschliches Versagen – auch in der Beurteilung der Lage. Dagegen sind Maßnahmen getroffen unter dem Dach von Krisenmanagement.

Die entscheidende Frage: Wie verhalten sich die Weltmächte Chin und die USA? Sie befinden sich in ernshafter Rivalität um die Macht auf dem Globus.

Wozu brauchen sie dazu den großen Krieg?

Sie könnten wenig gewinnen, aber viel verlieren.

Beide verfügen über eine gesicherte Rückschlagfähigkeit – eine gegenseitig gesicherte Vernichtungsoption – ohne Chance auf einen nuklearen Überraschungserfolg.

Unterhalb des „ großen Krieges“ kämpfen sie in „ Stellvertrerkriegen“, die regional begrenzt sind.

Eine Art der Kriegsführung wird unterschätzt, obwohl sie seit Jahren bereits Realität ist: die

„ hybride Kriegsführung“, die bereits seit über 2500 Jahren praktiziert wird. Es war der chinesiche Feldherr Sun Tsu, der den Sieg ohne Einsatz militärischer Mittel erforscht und gelehrt hat. Seine Forderung: „ Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft.“ Er hat den Feind bereits im Frieden so destabilisiert, dass er dessen Behauptungs- und Verteidigungswillen vernichtet hat. Vor Jahrzehnten gab es in Deutschland die Parole “ Lieber rot als tot“. Feiert sie Renaissance?

Das ist die reale Gefahr, in der wir uns heute in Deutschland und in weiten Teilen Europa befinden.

„ Mourir pour Danzig“? Könnte heute heißen “ Mourir pour Tallin oder Oslo ?“ Die Antwort wäre vermutlich ein mehrheitliches lautes „ Nein!“. Ein potentieller Aggressor kann sich die Zeit nehmen, bis er die „ weißen Flaggen“ sieht.

Xi Jingping und Putin sind gelehrige Schüler des großen Vorbilds Sun Tsu.

Sollte es China gelingen, seine mittel- und langfristigen Ziele zu verwirklichen, was angesichts der

„ Kredit-Fallen“ und dem wachsenden Ärger und Widerstand der Nehmerländer gegen China nicht sicher ist, werden Russland und Europa von China dominiert werden.

In indo- pazifischen Region kann es den USA mit seinen starken Verbündeten – wie z.B. Indien, Japan und Südkorea – gelingen, China einzudämmen.

Der „ chinesische Traum“ von Xi Jingping kann funktionieren oder zum globalen„ Alptraum“ werden.

*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.

www.conservo.wordpress.com     27.1.2019

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