Ehrlicher geht`s nun wirklich nicht! Neues vom Des-Integrationsrat NRW

(www.conservo.wordpress.com)

Von Hans-Rolf Vetter *)

Was mich in diesen Tagen wundert, ist die nahezu einhellige öffentliche Verwunderung über die Vorschläge des Integrationsrates aus NRW, in den Grundschulen des Landes anstelle von Englisch mit Türkisch, Russisch und Polnisch lieber die wahren Muttersprachen der Schülerinnen ganz offiziell in den NRW-Unterrichtskanon auf zu nehmen. Gut, die Grüninnen haben sich m.W.n. noch nicht so wirklich geäußert, und die Verwunderung aus den Parteien und von den „Expertinnen“ fällt eigentlich auch sehr moderat aus. Aber viel mehr wird da ohnehin nicht mehr zu erwarten sein. Halt ein heißes Eisen! Zudem wird frau mit ihren Integrationsflausen a la Pippi …– sie wissen schon – niederschmetternd widerlegt. Protest oder auch nur Empörung sähen daher natürlich anders aus.

Aber nun zur Sache selbst: Ja, wozu soll man denn die lieben Kleinen mit Migrationshintergrund in ihrem Denk- und Sprachvermögen noch unnötig mit zusätzlichen Anforderungen konfrontieren, wenn ohnehin schon für nahezu die Hälfte der NRW-Bevölkerung Deutsch eine erste Hürde als Fremdsprache bedeutet, die es mühsam zu erlernen gilt?

Und dann auch noch Englisch! Noch dazu, wo zuhause die relevanten Bezugspersonen lediglich türkisch, polnisch oder russisch sprechen. Gut, es gibt auch andere Minderheiten, die sprechen teilweise italienisch, griechisch, portugiesisch und spanisch oder kroatisch und ungarisch. Aber dummer Weise haben sich diese „Migrantengruppen“ viel zu schnell akklimatisiert oder sind in Respekt zu ihrem Sitzland einfach viel zu fair, offizielle Sonderbehandlungen zu fordern.Integrationsanforderungen – für was?

Zurück zum „Integrations-…äh, Desintegrationsrat NRW“: Was um Himmels willen hat eine „deutsche“ Schulbürokratie dazwischen zu funken, wenn doch ein Großteil der Kinder ohnehin in naher wie ferner Zukunft nach dem Willen ihrer Eltern nur in ihrer Zuwanderungsblase leben und daher infolge unnötiger sprachlicher Experimente gegenüber ihrer Herkunfts-Gemeinschaft auf keinen Fall entfremdet werden sollen. Solch kalter Griff nach dem Kindeswohl muss jede(r) Elter doch nun wirklich als Schikane empfinden. Stellen Sie sich vor, Sie wandern aus und Ihr neue „Heimat“ bzw. die, die dort schon etwas früher siedelten, malträtieren Sie ständig mit sprachlichen und kulturellen Integrationsanforderungen! Würden Sie nicht auch denken: Was soll denn diese Form perfider Diskriminierung und Ausgrenzung? Wo bleibt denn da der Respekt vor den unveräußerlichen Menschenrechten?

Daneben gilt es zu bedenken, dass die inzwischen quantitativ erreichte kulturell-identitäre Infrastruktur doch zumindest bei den türkischen Mitbürgerinnen dieses Landes nicht nur in Berlin oder Duisburg das Versprechen in sich trägt:

„Du kannst Dein ganzes Leben lang in Deutschland sesshaft sein, ohne auch nur einen einzigen deutschen Satz sprechen zu müssen. Und mit Englisch wirst Du aller, aber auch aller größter Wahrscheinlichkeit nach niemals nie (hier sei der Ausflug ins Bayerische, auch so einer unterdrückten Sprache, gestattet) konfrontiert werden. Denn, was geht Dich, mal ehrlich, die weite Welt an, wo Du doch nur in Deiner kleinen uteralen „Herkunfts-Blase“ heimisch sein möchtest!? Und ebenso bedenke, dass, ehe Dein Kind in 10 bis 15 Jahren u.U. doch noch einen Beruf erlernen müsste, der deutsche und zumal englische Sprachkenntnisse erfordert, vielleicht schon der kluge, lernaggressive Chinese längst das Ruder übernommen hat; und dann kann man Englisch womöglich ohnehin in der Pfeife rauchen. Oder das Osmanische Reich hat sich u.U. bis zur Nordsee ausgedehnt. Oder Putin hat den Westen gänzlich geschluckt – war doch immer schon der Traum der Russen. Vor allem in Bezug auf Deutschland als dem mitteleuropäischen Kernland.“

Unabwägbarkeiten über Unabwägbarkeiten also und eine Risikoakkumulation, bei deren Entscheidungsfindung eine – zumal nationalistisch aufgepeppte „deutsche“ – Schulbürokratie nun nicht wirklich maßgebend sein kann. Angesichts dieser möglichen Zukunftsszenarien heißt das doch logischer Weise im Umkehrschluss, dass es im Gegenteil sogar absolut Sinn macht, jetzt schon die zukünftig wirklich relevanten Amts- und Verkehrssprachen zu erlernen. Und dabei nicht allein nur auf das originäre familiale Umfeld oder freiwillige Zusatzangebote der Grundschulen in Bezug auf die Pflege der Muttersprachen zu vertrauen, sondern systematisch vorzugehen. Und wenn die Chinesen kommen, na ja, dann müssen halt ausnahmslos alle in Deutschland chinesisch lernen. Was soll da Englisch, wo doch bald schon selbst die deutsche Sprache nicht mehr wichtig sein wird!?

Nachwuchs für Parallelgesellschaften

Nicht zuletzt, bitte schön, brauchen Parallelgesellschaften selbstverständlich Nachwuchs. Das ist das Recht jeder Minderheit. Da kann frau doch nicht einfach nur auf weiteren Zuzug warten, obwohl gerade in der Türkei aktuell viel dafür getan wird, die deutsche Kolonie mit Auswanderern zu bevölkern. Und was soll im Übrigen daran gut sein, wenn sich die Deutsch-Türken, die Deutsch-Russen und die Polen einfach anschicken, sich nicht nur sprachlich an den Westen, sondern auch an dessen „ausgrenzendes“ Demokratieverständnis zu akkulturieren? Fragt da mal Fachleute wie Putin und Erdogan. Und liebe Polen für Euch wird Englisch zudem alleine schon dadurch entwertet, als der Brexit ja demnächst sehr hohe Hürden für die Übersiedlung ins Vereinigte Königreich ansetzen wird. Ja, so sieht`s recht besehen eben einfach aus. Nicht immer gleich Vorurteile schmieden, Ihr Neo-Nazis, wo doch der Nachweis grundständiger Reflexion über zukünftige politische und kulturelle Szenarien durch den Integrationsrat NRW in reichem, zumal höchst nachvollziehbaren Maße geliefert wird. Daher: selbst mal Hirn einschalten, Leute!

Entwaffnende Ehrlichkeit – Multikulti an die Macht!

Da ich auf keinen Fall zu den Unbelehrbaren dieses goldigen Merkel-, Habeck- und Laschetlandes gezählt werden möchte, bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass wir mehrfach zu danken haben:

Erstens dem Integrationsrat NRW für seine entwaffnende Ehrlichkeit. Und dafür, dass er sich mutig für die weitere Förderung von Des-Integrieren einsetzt. Sogar mit Ansage! Denn im Klartext sagt er doch:

„Wisst Ihr was, Ihr „faschistischen deutschen Hansis“ (Erdogan), ihr dummen Annalenas, Ralphs, Karins und Wolfgangs, Ihr könnt` uns mal mit Eurer abwegigen Integrationsdebatte kreuzweise. Akzeptiert einfach mal, dass wir mit Euch hier in angeblich Eurem Land nichts zu tun haben wollen. Wir wollen hier doch nur siedeln, arbeiten und leben, aber ansonsten in unserer eigenen Spielecke bleiben. Wir wollen, ja wir müssen weiter des-integriert bleiben um unserer einmaligen Lebensart willen. Wir haben uns doch nicht die Mühen der Zuwanderung dafür gemacht, dass wir unsere Identität aufgeben. Zumal, wo es uns jetzt so richtig gut geht. Habt Ihr komischen deutschen Weicheier vielleicht ein Anrecht, von uns Anpassung zu verlangen, nur weil Ihr meint, für eine der führenden Wirtschaftsgesellschaften dieser Welt sei es in Zukunft immer wichtiger, dass möglichst viele Bürger*innen dieses Landes die Weltsprache Englisch wenigstens rudimentär sprechen sollten? Nein, dieses Anrecht habt Ihr eben nicht! Schaut doch mal auf Euch selbst: Mindestens die Hälfte von Euch predigt doch selbst das Recht auf kulturelle Andersartigkeit! Und schwärmt Ihr halbverzückt nicht selbst vom multikulturellen Paradies auf deutschem Boden. Wie groß sind doch Eure Freude und Empathie für „diversity“. Also lasst`s mal mit Eurer Empörung gut sein. Multi-Kulti an die Macht. Und zwar überall! Nichts anderes als das, was Ihr selbst vorgebt zu wollen, fordern wir. Danach können wir mal weitergucken, woll!“

Zweitens gebührt höchste Anerkennung zweifellos dem Bundesland NRW. Einen Integrationsrat einzurichten, der dann so herrlich unvoreingenommen und schnörkellos weitere Des-Integrationstendenzen stärken möchte – Respekt: so viel Toleranz und Selbstverleugnung müssen andere erst mal nachweisen.

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P.S. Ach, was ich noch vorschlagen möchte: Sollten wir nicht unseren EU-Mitbürgern aus Italien, Griechenland, Portugal, Spanien, Kroatien und Ungarn sowie den vielen anderen Regionen Europas mal aus tiefstem Herzen Dank sagen, weil sie zum Wohlstand unseres Landes absolut konfliktfrei und zumeist unauffällig beitragen. Sie repräsentieren das neue, organisch integrierte Europa. Ein Europa – errichtet auf den Grundsätzen der europäischen Aufklärung, der gegenseitigen Fairness und des gegenseitigen Respekts. In diesem Sinne sollten wir insbesondere den ca. 35 Prozent türkischen Mitbürger*Innen umso bereitwilliger die Hand reichen, die unser Land und unsere Lebensweise achten; denen, die unser Land durch ihre wertige Arbeit und vor allem auch durch ihre wertschätzenden Integrationsleistungen jeden Tag von Neuem bereichern. Denen also, die genuin zu uns passen!

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*) Univ.-Prof. i.R. Dr. Hans-Rolf Vetter, Leonberg

–           Jahrgang 1943

–           Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftliche Sozialpolitik, Moderne Erwerbsbiographien, Mütter und Mediation

–           Jahrzehnte in der Grundlagenforschung tätig

–           Professuren in „Soziologie der Arbeit“ sowie „Wissenschaftliche Sozialpolitik und Organisation Sozialer Dienstleistungen“ an der Universität der Bundeswehr München

–           2008 Pensionierung; seit dieser Zeit bis heute mehrerer Forschungsprojekte (u.a in der VR China) und Organisation von Vortragsreihen

–           Habilitation 1992 an der J.W. Goethe-Universität in Frankfurt/M Habilitationsschrift: „Die Moderne Erwerbsbiographische Konstruktion“

www.conservo.wordpress.com    14.02.2019
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