(www.conservo.wordpress.com)
Von altmod *)
Eine Begutachtung
Wem gehen sie inzwischen nicht schon gewaltig auf den Senkel, diese Apokalyptiker aus einer sonst eher peripheren Zunft, mit ihren scheinbar mehr quantitativ denn qualitativ verbreiteten Meinungen. Ich provoziere mal und sage bewusst „Meinungen“ und will nicht von „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ sprechen.
Wie kann es sonst sein, dass diese Spezialisten (z.B. vom Robert Koch Institut) die Bedeckung von Mund und Nase lange für unnötig erklärten, und nun kommt die Meldung, dass das RKI seine Einschätzung für das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes jetzt offiziell geändert hat. Auf den Internetseiten mit den Corona-Empfehlungen heißt es nun, eine solche einfache Schutzmaske könne das Risiko verringern, „eine andere Person durch Husten, Niesen oder Sprechen anzustecken“.Mit einer Essenz aus einer exakten Wissenschaft hat das wenig zu tun.
Aber sie sind die gefragtesten Mediziner oder Wissenschaftler derzeit in den Medien – beachte: keine „Ärzte“! – die sich in ihrer Bedeutung sonnen dürfen. Ob sie Drosten Wieler, Kekule´oder Streeck heißen. Sie werden zu medialen Superstars hochstilisiert („Kann Drosten Kanzler?“) – wenn nicht, versuchen sie es selbst mit diversen Methoden.
So ist auch zu beobachten, dass in den Kommentarbereichen diverser Blogs oder Online-Publikationen so manche Spezialisten/Virologen wie Trolle auftauchen und uns ihre Einsichten brutal um die Ohren hauen. Wie z.B. dieser hier:
„Wer sich nicht an die Schutzregeln hält, wird SICHER infiziert und jeder 10. Stirbt.
Gibt es Bevölkerungsgruppen, die sich nicht schützen, so werden sie gnadenlos dezimiert!“
Ein nachgewiesener Virologe oder Chemiker (?), offensichtlich aber Experte für Totschlag-Argumente, bietet dann auch noch eine Desinfektionslösung zum Erwerb der von ihm beeindruckten Zielgruppe an – wie man an anderer Stelle lesen kann: „Als Chemiker habe ich es für meine Familie nach WHO-Rezept angemischt, einen Rest kann ich abgeben: sapere–aude@web.de.“
Es nimmt schon seltsame Formen an.
Als Arzt muss ich aber selbst aufpassen, nicht in eine höchsteigene Berufs- oder Erfahrungs-begründete Selbstgewissheit zu verfallen. Es sei mir aber doch gestattet, auffallende Übersteigerungen auch zu brandmarken.
Der Virologie, noch breiter gefasst der Mikrobiologie und der Infektiologie, haben wir wichtige und großartige Erfolge in der Behandlung, Eindämmung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu verdanken. Daran gibt es nichts zu deuteln.
Wenn wir mehr oder weniger glimpflich aus der gegenwärtigen Epidemie herauskommen wollen, haben wir deren Vorschriften und Verhaltensregeln zu folgen.
Als ehemals chirurgisch tätigem Arzt ist mir die Einhaltung solcher Regeln und hygienischer Grundprinzipien in Fleisch und Blut übergegangen und bestimmt auch all meine Reflexionen zum Thema. Was mir aber auch nicht den differenzierten Blick auf „anthropomorphische“ Phänomene verstellt.
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Anhang
Um zu erklären, womit man es bei der Virologie zu tun hat, will ich für die Leser einen etwas längeren Text zur Historie anführen – ohne hoffentlich zu langweilen. Auszug aus einem Werk zur Geschichte der Medizin*:
Die Virologie
Die Mikrobiologie des 20. Jahrhunderts entstand durch seine Technologie, deren Fähigkeiten tagtäglich riesenhafter erschienen und es ermöglichten, das unendlich Kleine zu erforschen. Das Virus wurde zwar schon im 19. Jahrhundert deutlich mittels der Poren der Keramikfilter und später in Form von Zelleinschlüssen erkannt, wie sie Negri (1903) bei der Tollwut beobachtete, doch in Wahrheit entstand die Virologie erst im 20. Jahrhundert, dank der Elektronenmikroskopie, der Photographie, der neuen Möglichkeiten der Impfung und der Gewebekulturen, der Kenntnisse über Immunität, der Mikrobiophysik und der Mikrobiochemie.
Eine gewisse Anzahl von »filterpassierenden Viren«, welche durch die Arbeiten von Löffler und Frosch, Nocard und Roux dargestellt wurden, werden ihrer Struktur und ihrer Art entsprechend abgegrenzt und gelten heute als Auslöser zahlreicher häufig auftretender Infektionskrankheiten. Es gibt sehr viele Viren, die für den Menschen als pathogen erkannt wurden. Wir kennen zum Beispiel mehr als hundert Virusarten, die für Erkrankungen der Atemwege, von grippalen Infekten angefangen bis zu schwersten Bronchopneumonien, verantwortlich sind. Die meisten sogenannten Kinderkrankheiten sind viralen Ursprungs (Masern, Röteln, Mumps, Windpocken und durch Enteroviren her vorgerufene Erkrankungen).
Diese ansteckenden Erreger können für gefürchtete Krankheiten verantwortlich sein, ob sie nun entsprechend der Natur ihrer Nucleinsäure zur Gruppe der DNA-Viren gehören, wie das Pockenvirus und die Adenoviren, oder zu jener der RNA-Viren*, wie Herpesvirus, Myxovirus, Rhabdovirus, Enterovirus oder Arbovirus. Ein Beispiel dafür ist die Herpes-Enzephalitis mit meist tödlichem Verlauf, obwohl das Herpesvirus hominis seit den Arbeiten von Wildy 1960 eines der zur Zeit am besten bekannten Viren ist. Ein anderes Beispiel sind die Erreger der jahreszeitlich bedingten »Schnupfenepidemien«, unter denen unsere industrie- und handelsorientierte Gesellschaft stark leidet, da dadurch viele Arbeitsstunden ausfallen.
Die Grippe
Historische Landkarte der Influenzaepidemie, die Europa Ende des 19. Jh. heimsuchte.
Sie ist ein Paradebeispiel für eine Gesellschaftskrankheit, die in der Lage ist, die industrielle Aktivität zum Stillstand zu bringen. Angefangen von 876, dem Jahr, aus dem die erste Aufzeichnung einer erkannten Grippeepidemie stammt, bis 1837, liegt eine lange Zeit der Verwirrung in der Geschichte dieser Krankheit, obwohl die Grippe von Osten bis Westen regelmäßig die Kontinente heimgesucht zu haben scheint. …
Jede Epidemie hatte ihre Geschichtsschreibung; so hinterließen Sydenham 1676 und Graves 1835 genaue Beschreibungen der damaligen Epidemien, die sie den bösen Folgen der schwarzen Pest ebenso zuschrieben wie der Cholera. Colin blieb noch unbestimmter, er reihte die Grippe unter die »vulgären Krankheiten« ein, welche »epidemischen Charakter annehmen können«. 1837 gab Petrequin eine echte klinische Beschreibung der Krankheit heraus, dessen verantwortlichen Keim Pfeiffer 1889 isoliert zu haben glaubte. Obwohl dies ein Irrtum war, sollte die Vorstellung von der Grippe als einer ansteckenden Krankheit doch den mikrobiologischen Forschungen den Weg öffnen. Anläßlich der dritten großen Pandemie des 20. Jahrhunderts festigte sich auch wirklich die Erkennung der Grippe gemäß den wissenschaftlichen Gegebenheiten.
Die erste Pandemie, welche die spanische Grippe genannt wurde, obwohl sie von China ausgegangen war, forderte außerordentlich viele Todesopfer.
1918 vermutete Ch. Nicolle, daß Viren die Verursacher dieser Krankheit sind; Dujarric de La Rividre vertrat dieselbe Ansicht und zögerte nicht, sich subkutan ein Blutfiltrat eines Grippekranken zu injizieren, um seine Theorie zu beweisen. 1933 überwanden jedoch Smith, Andrewes und Laidlaw erfolgreich das erste wissenschaftliche Hindernis, welches der Erkennung eines Virus als Grippeursache im Wege stand, indem sie einem Frettchen ein Grippefiltrat ein impften. Schließlich gelang es dem Australier Burnet 1935, das Virus zu kultivieren, dessen drei Arten A, B und C nach und nach abgegrenzt wurden. In New York isolierte Magill 1940 das Virus B, Taylor das Virus C 1949, doch das Virus A bleibt als Erreger der großen Epidemien das wichtigste.
Dasselbe geschah bei der zweiten Pandemie 1946, deren Entwicklung dem Virus AI zugeschrieben wird und die glücklicherweise weniger schwer als die vorangegangene war. Der Grund dafür ist in der Verfügbarkeit von Antibiotika, diesem mächtigen Schutz gegen die Superinfektion, welche zu gefährlichen Komplikationen der Grippe führt, zu suchen.
1957 verbreitet sich die dritte Pandemie, die sogenannte asiatische Grippe (Virus A2). Nun wird aufgezeigt, daß diese Grippeepidemien durch die Entstehung von antigenen Mutationen des Virus A ausgelöst werden; das konnte die darauffolgende Epidemie von 1968, die sogenannte Hongkong-Grippe mit dem Erreger Virus A2, endgültig beweisen. Obwohl diese Epidemie weniger dramatisch verlief als die vorangegangenen, forderte sie in Frankreich doch dreißigtausend Tote. Schließlich wird, ausgehend von einer besseren Kenntnis des epidemiologischen Faktors und vor allem dank der Entdeckung der antigenen Veränderungen des Virus, eine Impfung vorgeschlagen (1973), deren Besonderheit es ist, einen prospektiven Schutz zu bieten, der von immunologisch abgeschwächten Stämmen hervorgerufen wird. Obwohl die Erkennung der Viren und ihres Aktionsmechanismus eine der Hauptsorgen der Forschungen der Pathologie der Infektion geworden ist, ist die Geschichte dieser Krankheiten weiterhin unvorhersehbar. Vor allem haben viele bedeutende Infektionen, deren Ätiologie höchstwahrscheinlich viral ist, das Geheimnis ihrer Identität noch nicht gelüftet.
Kaum sind einige erkannt, erschrecken sie schon durch ihre Agressivität. So haben die jüngsten Infektionen, die durch das Marburgvirus ausgelöst wurden (1967), und das Lassa-Fieber 1969 in Afrika mehrere tödliche Epidemien aus gelöst. Die ersten Fälle menschlichen Erkrankens am Marburgvirus wurden 1967 in Europa (Deutschland und Jugoslawien) bei Arbeitern beschrieben, die in Laboratorien mit aus Uganda importierten Affen umgingen. Die zwischenmenschliche Übertragung wurde erst erkannt, nachdem das medizinische Personal dieser Infektion schon einen schweren Tribut bezahlt hatte.
……
Die katastrophalen Wogen epidemischer Krankheiten, wie der Pocken und des historischen Typhus, werden durch die Gesundheitsorganisationen der Menschen oder durch die Schädlingsbekämpfungsmittel in Schranken gehalten. Doch obwohl die antiviralen Therapien erst im Anfang stecken und sich schon die Gefahr viroider Infektionen (durch »Miniviren«) bemerkbar macht, verdanken wir diese bemerkenswerten Ergebnisse der Entwicklung des therapeutischen Arsenals um die Mitte des 20. Jahrhunderts, über das wir verfügen und an dessen Spitze die Antibiotikatherapie und die Reanimationstechniken alle bisherigen Vorstellungen gründlich verändert haben. Die in diesen wenigen Jahren zurückgelegte Wegstrecke ist umso beachtlicher, wenn man bedenkt, daß die Pneumonie erstmals 1938 durch medizinische Behandlung geheilt werden konnte.
Leider sind unter dem Schutz einer schlecht verstandenen Sicherheit, welche uns die grundlegenden Kenntnisse der Asepsis von Pasteur vergessen läßt, nach und nach neue Infektionsformen entstanden, welche den Mikroben zu einem Rachefeldzug verhalfen, mit dem man nicht gerechnet hat. Meistens sind es Folgen unserer »unkontrollierten« therapeutischen Abenteuer, ob es sich nun um nosokomiale Infektionen, iatrogene Krankheiten oder multiresistente Keime handelt. Die Verbreitung von »Hepatitisviren« durch Produkte aus Blutderivaten ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie die Infektionen unseren Behandlungen durch Entwicklung von Resistenzen entkommen, welche die Keime durch chromosomale oder extrachromosomale, plasmidische Mechanismen erworben haben. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat die Entwicklung von »angeschlossenen Wissenschaften«, wie Enzymologie, Immunologie, Genetik und Hormonlehre, für die Pathologie der Infektionen ebenso viele Jungbrunnen geschaffen, in denen die ansteckenden Krankheiten durch Erneuerung mehr und mehr ihre eigentliche Einheit verloren haben.
In dem Text findet sich u.a. ein besonderer Hinweis, den man beachten sollte.
Bei der Bekämpfung der klassischen Infektionskrankheiten sind immense Erfolge erzielt worden, ob es sich um die Kinderlähmung, Tuberkulose oder die Syphilis handelt, jedoch: Die hierfür eingerichteten Sanatorien machen heutzutage psychiatrischen Anstalten Platz.
Geistige Infizierung als Begleiterkrankung mikrobieller Kontagion bedarf gleichermaßen unserer strikten Aufmerksamkeit.