Die Art und Weise, wie die Union sich weiter an Machtoptionen klammert, ist würdelos. CDU und CSU müssen die Oppositionsrolle annehmen und als Chance zum Neuanfang begreifen.
Von DR.PHIL.MEHRENS *)
Charakterlos ist schon fast geschmeichelt. Erbärmlich trifft es eher. Wie eine abgelegte Geliebte, die nicht wahrhaben will, dass ihr Liebhaber für sie nichts mehr empfindet und sie einfach nur noch loswerden will, gebärdet sich die CDU seit dem Wahldebakel vom 26. September. Sie kommt immer wieder angekrochen, ist zu jedem Zugeständnis bereit, fleht den, der von ihr nichts mehr wissen will, an, ihr die Bedingungen zu diktieren, zu denen er bereit wäre, es noch mal mit ihr zu versuchen. Sie hat jede Selbstachtung in den Wind geschossen, jede Würde verloren. Ihr Verhalten ist einfach nur jämmerlich, mitleiderregend. Wäre sie eine Filmfigur würde jeder Zuschauer ihr am liebsten zurufen: “Mädchen, es ist vorbei, gib den Kerl endlich auf!”
Der “Kerl”, das ist die Macht, an die sich die Union unter Angela Merkel gewöhnt hat wie daran, dass an jedem Werktag die Post kommt. Am Ende hat die CDU die Macht verloren, weil sie sie zu sehr wollte. Deswegen hat sie Wahl für Wahl auf die Popularität ihrer Kanzlerin gesetzt, die ihrem Koalitionspartner SPD unter dem Beifall der Medien einen Fleischbrocken nach dem anderen in den Rachen geworfen hat.
Kaum je wurden seit 2005 Wahlprogramme der CDU konsequent in Politik umgesetzt. Im Streit um die Legalisierung von Embryonentötungen ließ man sich von linken Demagogen jagen, der Kulturbruch der “Ehe für alle” kam, obwohl zwei Drittel der Unionsabgeordneten sie nicht wollten, Multikulti, vor einer Dekade von Merkel noch für “gescheitert” erklärt, ist – dank Merkel – längst bundesdeutsche Realität, eine stabile Währung, für die der 2018 aus der Regierung entfernte “heimliche Bundeskanzler” Wolfgang Schäuble zumindest noch zu kämpfen versuchte, ein Wolkenkuckucksheim.
Mit den versteckten Eurobonds des Corona-Wiederaufbaufonds und der Installation von Frankreichs Wunschkandidatin für das Amt der EZB-Chefin bei gleichzeitiger Resteverwertung der als Verteidigungsministerin gescheiterten Ursula von der Leyen für Europas höchstes Faselamt ist Deutschland unter Angela Merkel zum Vasallen Brüssels geworden. Dort ziehen Austeritätsskeptiker die Strippen, Deutschland darf blechen. Und all dieses Unheil hat eine Union über Deutschland heraufbeschworen, die unter dem Eindruck der starken medialen Präsenz linker Lobbyisten und Meinungsmacher nur auf Umfragen und die nächsten Wahlen geschielt hat wie eine käufliche Geliebte. Die CDU-Basis hat das längst erkannt. In der Kampfabstimmung um das Amt des Parteivorsitzenden favorisierte sie Friedrich Merz, weil er, der unter Merkel in der Versenkung verschwunden war, wie kein anderer für die Union steht, die sie unter Helmut Kohl einmal war, und nicht für die verwitterte Vogelscheuche, zu der sie in 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft degeneriert ist.
Nun jedoch, mit dem Abgang der Kanzlerin, wurde nicht mehr die Person gewählt, sondern die dank hoher Steuern üppig alimentierte Politik, an die Merkel die Deutschen gewöhnt hat. Und für die steht – o böses Erwachen! – die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, einem amtierenden Minister der Merkel-Administration. Dumm gelaufen.
Wer CSU-Lautsprecher Markus Söder und den gescheiterten CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet in der “Elefantenrunde” nach der Wahl gesehen hat, der konnte nur den Kopf darüber schütteln, wie profil- und würdelos die Wahlverlierer agierten, wie sie liebedienerisch Wahlkampfrhetorik von Grünen und FDP aufgriffen: Von einer “Zukunftskoalition” schwadronierten sie und neuen Herausforderungen, die man gemeinsam lösen könne. Als hätte die Union in den letzten 16 Jahren nicht genügend Zeit und Gelegenheit gehabt, Deutschland mit einer klaren Vision in die Zukunft zu führen.
Ein Königreich für die Gedanken von Annalena Baerbock, die dem Gesäusel von Laschet und Söder mit zusammengekniffenen Lippen lauschte und vermutlich im Stillen bedauerte, dass sie in die offene Flanke der CDU nicht brutaler hineinstechen durfte. Es wäre leicht gewesen, die opportunistischen Worthülsen der beiden machtverliebten Unionspolitiker als leeres Gewäsch zu entlarven und die beiden nach ihrem Wahldebakel ganz, ganz alt aussehen zu lassen. Doch die Grünen sind selbst keine Wahlgewinner. Denn natürlich hatten die Öko-Reformer ganz andere Ambitionen: Sie wollten da stehen, wo die SPD gelandet ist. Das unerwartet schlechte Ergebnis zwang sie zum Taktieren: CDU/CSU durften nicht brüskiert werden, weil die Verliererpartei für die Dauer von Sondierungsgesprächen als Faustpfand erhalten bleiben muss, um den Wahlgewinner, die SPD, in Koalitionsverhandlungen unter Druck setzen zu können. Sollte es gelingen, Olaf Scholz, die bürgerliche Strohpuppe, auf Esken-/Kühnert-Kurs zu bringen, um so den erhofften Linksruck auch ohne PDS-Linke bewerkstelligen zu können, wäre die FDP ständig in der Defensive. Das ist zweifellos die Rolle, die SPD und Grüne für den schwächsten Koalitionspartner vorgesehen haben. Die CDU braucht in diesem Spiel keiner mehr.
Allerdings wissen die Grünen um die Gefahr für ihr Lebenswerk – das Einhämmern ihrer ökosozialistischen, germanophoben und familienfeindlichen Agenda in das gesellschaftliche Gefüge –, wenn die zur Bedeutungslosigkeit geschrumpften Konservativen in der Union, die Anhänger von Vaterland, christlicher Tradition und deutschem Wesen, plötzlich erstarken und den längst überfälligen Schulterschluss mit der AfD suchen sollten, was, der medialen Paria-Propaganda zum Trotz, zumindest in Teilen Ostdeutschlands denkbar ist. Die Trump-Ära in den USA ist ein gefürchtetes Menetekel. Deswegen hat für die Ökosozialisten auch eine schwarz-grün-gelbe Koalition etwas Verlockendes. Eine CDU an der grünen Kette würde die Eliminierung solcher Kräfte in der Union, die Hans-Georg Maaßen für das Gesicht der Zukunft halten, besiegeln.
Nur ist der nachwachsenden Generation ein solches Bündnis schwer vermittelbar. Bei links sozialisierten Schülern und Studenten sitzt die Abneigung gegen die CDU traditionell tief. Für sie ist, wie in dem viral gegangenen Video von Blogger Rezo, die Zerstörung der CDU, dieses bourgeoisen Relikts, das Beste, was dieser Partei widerfahren kann. So nah wie jetzt waren sie diesem Ziel noch nie. In ihren Gesinnungen, die wie ein verabredetes Signal der mit Jakobinereifer installierte Genderstern markiert, sind Jusos und Grüne Jugend kaum zu unterscheiden: Sie eint der Glaube an eine Politik nach dem Wohlfahrtsausschussprinzip: Wer recht hat, braucht keine Debatte; es gibt andere Wege, die Bürger dazu zu bringen, dieses Recht anzuerkennen. Auf diesem Kurs stören die Liberalen zwar mehr als eine profillos gewordene CDU; jene aber braucht man, die CDU nicht. Deswegen leuchtet seit Dienstagabend die vom linken Establishment ersehnte Ampel in den hellsten Farben. Und das könnte sich für die verschmähte Geliebte als Glücksfall erweisen. Sie muss nur endlich ihr Los annehmen.
In der Opposition – mit einem starken Oppositionsführer wie Helmut Kohl in den Siebzigern – könnte sie ihre Würde zurückgewinnen und eine zerstörerische Politik endlich kompromisslos anprangern. Dafür müsste sich allerdings der als Wischi-Waschet verspottete blasse Kanzlerkandidat von der großen Bühne verabschieden und den Weg frei machen für einen Mann mit mehr Profil und Charisma. Laschets Ankündigung eines Parteitags zur personellen Neuaufstellung beendet die “Hängepartie ” (Markus Söder) nicht. Die am Wochenende laut gewordene Forderung, das gesamte Parteipräsidium solle zurücktreten, ist berechtigt. Es trägt die Verantwortung für das Wahldebakel. Kramp-Karrenbauer und Altmaier setzten die richtigen Signale. Dass indes Laschets Ex-Steigbügelhalter, der umfassend beschädigte Gesundheitsminister und opportunistische Taktierer Jens Spahn trotz erwiesener Inkompetenz bei der vom Katastrophenkandidaten am Donnerstag angekündigten personellen Neuaufstellung immer noch eine Rolle spielen soll, zeigt: Der Weg zur Einsicht ist noch lang. Söder und Spahn sollten niemals mehr auch nur in die Nähe einer Kanzlerkandidatur kommen.
*) DR.PHIL.MEHRENS. Kurzbiographie:
Studium der Literaturwissenschaft und Theologie in der Schweiz und in Deutschland mit anschließender Promotion. Volontariat (Radio) in Zürich, danach verschiedene journalistische Engagements im christlichen Sektor.
Heute als freier Autor, Publizist und Dozent in Norddeutschland tätig. Als Theologe seit 1988 (längerer USA-Aufenthalt) maßgeblich geprägt von der theologischen Richtung der Coral Ridge Presbyterian Church/Evangelism Explosion in Fort Lauderdale/Florida und ihrem Leiter James Kennedy. In seiner Freizeit betätigt er sich auch gern als (Lied-)Dichter.