- Ihr „Hauptgastgeber…ist…GOTT selbst“
- „Wir sind so glücklich, dass unsere Kathedrale, die den Ruin riskierte, jetzt gesichert ist…“
- Predigt von Mgr Michel Aupetit am Weihetag von NOTRE DAME 2021
- Mit Video „Verehrung der Hl. Dornenkrone in Notre Dame“ am Karfreitag 2020
Von Dr. Juliana Bauer
„Über die Rekonstruktion der Steine (des steinernen Gebäudes) hinaus, ist es notwendig, die gesamte Kirche wiederaufzubauen – durch die Umkehr unserer Herzen.“ Das waren die Worte des emeritierten Erzbischofs Michel Aupetit einen Tag nach dem Großbrand von Notre Dame (Le Figaro, 16 avril 2019).
Es waren Worte, die Aleteia, das katholische Internetjournal, in seiner französischen Ausgabe zwei Jahre später inhaltlich aufgriff:
„Neben der Rettung der jahrhundertealten Steine der Kathedrale gibt es auch die der lebendigen Steine“ (14.04.21). Die Rettung und der Wiederaufbau der „lebendigen Steine“, d.h. der Getauften ging für Michel Aupetit immer Hand in Hand mit dem Aufbau der Kathedrale – so, wie es im ersten Petrusbrief heißt, der auch die zweite Lesung der Weihemesse 2021 war: „Zu ihm (zu Christus) kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause…“ (1 Petrus, 2,4-5; 2,1-10). Darüber hinaus hob Mgr Aupetit mehrfach die überlieferten Worte Jesu hervor, die dieser in der Vision von San Damiano in Assisi 1206 an den hl. Franziskus richtete: „Francesco, baue meine Kirche wieder auf“ (Interview, KTO, 16.04.19, Link 3).
Aleteia unterstrich daher wiederholt die Priorität Erzbischof Aupetits, die dieser bei dem Wiederaufbau auf „die Aufrechterhaltung der spirituellen Dimension von Notre-Dame“ legte (14.04.21) und verweist auf seine bedeutenden religiösen Initiativen während der ersten beiden Jahre, welche in Kapellen von Notre Dame stattfanden und Paris, Frankreich und die Welt daran erinnern sollten, dass die Kathedrale ein lebendiger Ort des Gebetes ist und bleibt. Wenngleich Michel Aupetit auch stets deren Schönheit und die darin aufscheinende Genialität großer Handwerkskunst betont, die ihn immer wieder von neuem fasziniert.
So feierte er bereits zwei Monate nach dem Brand in der Axial-Kapelle zum Weihetag von Notre Dame mit einer Gruppe von Priestern des Domkapitels, Handwerkern und ausgewählten Gläubigen (der Fondation Notre Dame, Diözesanräten u.a.) eine Hl. Messe (15.Juni 2019). Meditationen mit Verehrung der Dornenkrone (s. Erläuterungen und Link 1) „im Herzen der Kathedrale Notre Dame“ und der Fußwaschung folgten am Karfreitag 2020, zum ersten Jahrestag, wie auch „mit großer Emotion“ am Gründonnerstag 2021, kurz vor dem zweiten Jahrestag (Link 2).
Die Meditationen in der Karwoche entsprachen dem besonderen Wunsch des emeritierten Erzbischofs, da die große Tragödie Notre Dame in der Heiligen Woche, wie sie die romanischen Völker nennen, heimsuchte. Die liturgischen Feiern fanden, wie erwähnt, in verschiedenen Kapellen statt; sie alle blieben bei dem Großbrand unversehrt. Wenige Priester und Künstler sowie am Gründonnerstag sechs weitere Personen, denen der Erzbischof als jesuanische Geste, wie sie im Johannesevangelium berichtet wird, die Füße wusch (Joh.13,1-17, s. auch Schriftlesung), begleiteten ihn (die Künstler setzten sich aus Musikern zusammen – unter ihnen zwei Violinisten, ein Pianist, eine Sängerin, die u.a. Bach und das Ave Maria erklingen ließen – sowie aus Schauspielern, die neben den Gebeten Mgr Aupetits meditative Texte und solche aus christlicher Lyrik rezitierten).
Die Predigt zum Weihetag
Schriftlesungen: Apg 21, 9b-14 ; 1 Petrus 2,4-9; Joh. 10, 22-30
Am 16. Juni 2021 feierte Erzbischof Aupetit aus Anlass der Altarweihe von Notre Dame mit einer kleinen Gruppe von schutzhelmbehüteten Priestern und Gläubigen, zu denen auch Sänger der Maîtrise Vocale von Notre Dame gehörten, wieder eine Hl. Messe. Diese fand in der Sankt-Georgs-Kapelle der Kathedrale statt und war die zweite Messe in Notre Dame nach dem zerstörerischen Brand. Da sie wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefeiert werden musste, mussten die vielen interessierten Gläubigen sie über KTOTV miterleben. Die Sicherung des Gotteshauses war gerade abgeschlossen und man hatte mit der eigentlichen Restaurierung begonnen. Was Michel Aupetit auch voller Freude in seiner Predigt thematisierte. Diese sei hier widergegeben.
„Voilà! Wir sind dabei, unsere Kathedrale wieder zu errichten“
„Seit Jahrhunderten feiern wir jedes Jahr voll Freude die Weihe dieser Kathedrale, der Kathedrale Notre-Dame. Unserer geliebten Kathedrale. Die Weihe bedeutet, wie ihr wisst, dass es sich um einen geheiligten Ort handelt, dessen Hauptgastgeber Gott selbst ist.
Sie ist das Haus Gottes, also ist sie das Haus aller, denn der Herr macht für niemanden eine Ausnahme. Dieses göttliche Haus hat schon so unzählig viele Menschen aufgenommen, doch jeder konnte es als sein zu Hause erkennen. Das Haus Gottes auf Erden ist das Zeichen des Himmels, in dem Jesus für jeden von uns einen Platz bereitet, wie er es uns versprochen, wie er es uns verkündet hat.
Wir sind so glücklich, dass unsere Kathedrale, die den Ruin riskierte, jetzt gesichert ist. Nun treten wir in die Restaurierungsphase ein. Sie wird schöner werden, denn je und das erfüllt unsere Herzen mit Freude und mit Hoffnung.
Aber ich glaube auch, dass diese Kathedrale das Symbol ist für die Erneuerung der vor 2000 Jahren von Christus selbst gegründeten Kirche. Einige glauben, sie liege in Trümmern und stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Zweifelsfrei berücksichtigen sie dabei jedoch nicht, dass Christus uns zusicherte, dass die Pforten des Todes sie nicht überwältigen würden. Wir glauben fest daran: Die Kirche Christi wird wie unsere Kathedrale stehen bleiben, sie wird aufrecht bleiben.“ Erzbischof Aupetit verliert nie seinen Mut, seine Hoffnung und seine Freude – seine Hoffnung und seine Freude, die tief in Christus gründen und die, wie in den vielzähligen, ja oft endlosen Kommentaren unter seinen Predigt- und Gottesdienstvideos zu lesen ist, rundum ansteckend wirken.
„Die Handwerker“, fährt er fort, „die Seilzugangstechniker, die unsere geliebte Kathedrale restaurieren und mit denen ich zusammentraf, sind voller Begeisterung. Sie wissen sehr gut, dass sie einer Sache dienen, die über sie hinausgeht, und sie setzen all ihr Talent, ihr ganzes Wissen in den Wiederaufbau des Zerstörten ein. Für dieses Haus, das allen gehört, weil es Gottes Haus ist … … Aus den großen, prächtigen Eichen, die ihnen (den Zimmerleuten u.a.) anvertraut sind, schaffen sie gesägte und gehobelte Balken, passen die Zapfen an, die Zapfenlöcher und die Eckpfeiler (oder: die Schluss-Steine; s. Erläuterungen).
Der heilige Petrus sagt uns wiederholt – wir haben es soeben in der Lesung gehört: Wir sind die lebendigen Steine der Kirche, wir sind dieses Gebäude, das geformt, geheiligt und auf Gott hin ausgerichtet werden muss. Und der heilige Augustinus erinnert uns daran, ich zitiere ihn: ‚Was wir hier physisch mit den Mauern erreicht sehen, muss geistig, mit der Seele verwirklicht werden. Was wir hier mit Steinen und Holz geschaffen sehen, muss in unserem Leib mit der Gnade Gottes vollbracht werden.‘
Der Chefarchitekt ist der Vater; das Vorbild ist Christus; der Regisseur ist der Heilige Geist. Das, was uns zusammenbringen, uns übereinstimmen und vereinen wird, um eine Kirche zu erbauen, die schöner denn je ist, ist die Erfüllung des großen Gebots Christi: Liebet einander, wie ich euch geliebt habe (Joh.13,34).
Voilà, wir sind nun dabei unsere Kathedrale wieder zu errichten. Sie wird schöner denn je nach dieser Trauer, die wir durchmachten, als alles in Flammen stand, die weite Teile zerstörten… unsere Kirche wird wiederaufgebaut werden, noch schöner, wenn wir akzeptieren, dass diese Steine durch die Gnade Gottes bearbeitet, geformt werden …“
Es genüge, so der Erzbischof weiter, Gott den Vater, den Sohn und den Hl. Geist bei unserer Arbeit wirken zu lassen, dass wir ihm „die Balken, die uns überantwortet werden, die Steine, die man uns anvertraut“ in die Hände geben. Er wiederholt noch einmal sein größtes Anliegen: dass wir Christen vor allem auch die Liebesgemeinschaft des dreifaltigen Gottes leben müssten, die Liebe untereinander, die letztlich die Kirche wiedererstehen lasse (Joh.13,34).
Michel Aupetit endet mit Worten des Kirchenlehrers Augustinus, die im Gleichklang mit Notre Dame, der Kirche und der gesamten Christenheit zu verstehen sind und den er nochmals zitiert: „Ihr wart alt, ihr wart kein Haus für mich, ihr lagt eingestürzt, einem Toten gleich. Um aus eurem alten Zustand, aus euren Ruinen herauszukommen, liebt einander.“
Quellen
Homélies – Diocèse de Paris, Homélie de Mgr Michel Aupetit, Fête de la Dédicace de la Cathédrale Notre-Dame de Paris (Weihefest der Kathedrale Notre Dame von Paris) – Mercredi 16 juin 2021
– Notre-Dame de Paris: Homélie pour la fête de la Dédicace, Homélie de Mgr Michel Aupetit, 16 juin 2021, KTOTV.
https://www.youtube.com/watch?v=93_vmgWPy0E
Übersetzung: Dr. Juliana Bauer
Literatur und Erläuterungen
– Caroline Becker, Notre Damedeux ans après l’incendie, son avenir se dessine déjà (Zwei Jahre nach dem Brand nimmt ihre Zukunft Gestalt an),in: Aleteia, französ. Ausgabe, 14/04/21.
Dornenkrone
Sie ist eine der wertvollsten Reliquien der Christenheit.
Nach der Überlieferung soll es sich um jene Dornenkrone handeln, die römische Soldaten Jesus vor seiner Kreuzigung, um ihn als König zu verspotten, auf sein Haupt drückten (Joh.19,2-5). Die Dornenkrone wurde in Jerusalem schon bald Gegenstand der Verehrung – seit dem 4.Jh. waren Gläubige um ihretwillen in die hl. Stadt gepilgert.
Der französische König Ludwig IX. der Heilige erwarb sie im 13.Jh. vom damaligen Herrscher in Konstantinopel, wohin sie während der Kreuzzüge aus Jerusalem gelangt war. Ludwig brachte sie nach Paris und ließ für sie die Sainte-Chapelle erbauen. Während der französischen Revolution wurde sie dem Vatikan in Obhut gegeben, wo man sie in zwei Teile trennte. Der eine Teil verblieb dort, den anderen gab man an Paris zurück. Nach einer Zwischenstation wurde die Dornenkrone seither in Notre Dame aufbewahrt. Bei dem Großbrand 2019 konnte sie aus dem Gotteshaus geborgen werden.
Die Dornenkrone wird in der restaurierten und liturgisch neu gestalteten Kathedrale ihren würdigen Platz in der Axialkapelle hinter der Chorapsis finden, wo sie einen Höhepunkt des geplanten meditativen Gebetsweges darstellen wird (s. Palmsonntag 2022: Der 3. Jahrestag des Brandes von Notre Dame nähert sich, Conservo, 10.04.22).
Zur Arbeit der Zimmerleute
Mgr Aupetit zählt einige Begriffe aus der Arbeit der Zimmerleute auf. Wer mehr darüber und über Dachstuhlkonstruktionen wissen möchte:
Zapfenverbindung – Wikipedia, Dachstuhl – Wikipedia; Dachstuhl Notre Dame
Die Grundbedeutung des Begriffs „les clefs de voûte“, den Michel Aupetit nennt, heißt „Schluss-Steine.“ Beim Schluss-Stein handelt es sich um einen, meist reliefverzierten, Stein im Scheitel eines Bogens oder Gewölbes (Gewölbe= voûte), mit wichtiger selbsttragender Funktion in der Gewölbekonstruktion. Reicher Dekor auf den Schluss-Steinen war vor allem in der gotischen Baukunst üblich. Der genannte Begriff kann auch „Eckpfeiler“, und damit ein ebenso tragendes Element, bedeuten, was in Aupetits Kontext mit Blick auf den hölzernen Dachstuhl auch gemeint sein könnte.
Links
1.
Vénération de la Sainte Couronne d’épines à Notre-Dame de Paris, KTOTV
Verehrung der Hl. Dornenkrone in Notre Dame, am Karfreitag 10.04.20
Am Mittwoch der Karwoche zeigte das Video nahezu 277.000 Aufrufe und mehr als 360 begeisterte Kommentare.
2.
Méditation de Pâques à la cathédrale Notre-Dame de Paris, KTOTV
Ostermeditation in der Kathedrale Notre Dame
Am Gründonnerstag, mit Fußwaschung, 01.04.21
3.
Mgr Aupetit: „Rebâtis mon Eglise!“ Baue meine Kirche wieder auf!
KTOTV, 16/04/19