Von Daniel Matissek
Wenn sich alle um die Rettungsboote prügeln, gilt das Recht das Stärkeren. Bezogen auf die drohende Energieknappheit und sonstige ernste Versorgungsengpässe im absoluten Elementarbereich, wie sie infolge des drohenden Gas-Embargos (und der verantwortungslosesten Energiepolitik auf deutschem Boden seit Karl dem Großen) unvermeidlich wird, bedeutet das: Frieren dürfen als erste die, die nicht „systemrelevant” sind – die normalodeutschen Privathaushalte, vermutlich am ehesten die, die nicht in Mietskasernen, Plattenbauten oder betreuten Wohnprojekten hausen, sondern in dekadenten Eigenheimen oder in „unwirtschaftlichen” Einheiten mit zu hohem Flächenverbrauch – bevorzugt Singles.
Für wen die Lichter hingegen als letztes ausgehen sollen respektive bei wem die Gasversorgung auch im Krisen- und Verknappungsfall sichergestellt bleiben soll, ist die deutsche Industrie – jedenfalls, wenn es nach dem Willen deutscher Konzernchefs und Top-Manager geht. Sie wollen im worst case den Privathaushalten als erste das Gas abdrehen. „Bild” zitiert heute einen der mächtigsten Energiebosse Deutschlands: Karl-Ludwig Kley, den Aufsichtsratschef des Energiegiganten E.on. Dieser fordert „klaren Vorrang für die Industrie” und verlangt, die Politik solle „sehr ernsthaft darüber nachdenken, ob sie die Reihenfolge nicht umdreht und erst bei Privaten abschaltet und dann bei der Industrie”. Auf die Frage, ob die Deutschen also im Winter privat frieren sollten, bevor die Industrie von Einschränkungen betroffen ist, antwortet Kley unverblümt: „Im schlimmsten Fall ja. Wäre es besser, wenn Firmen die Produktion einstellen müssen und Menschen dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren?“
Ausbund einer autodestruktiven Energiepolitik
Eine Diskussion, die noch vor einem Jahr gänzlich unvorstellbar gewesen wäre, nimmt damit an Schärfe zu: Da die deutsche Gas-Reserve bei mit stark sinkender Tendenz nur noch 34 Prozent Füllmenge angelangt ist und bald aufgezehrt sein wird, tobt der der Streit darüber, wer als erstes den Kürzeren zieht, wem also zuerst die Pipeline abgedreht werden soll. Der „besondere Schutz“ der Privatwohnungen gemäß EU-Verordnung 2017/1938 sowie auch in der deutschen Gesetzgebung an verschiedenen Stellen dürfte dabei wohl als erstes unter die Räder geraten – ist doch der volkswirtschaftliche Primärschaden im Falle eines Gas-Lieferstopps (egal, ob dieser nun von Russland oder Deutschland ausgeht) umgleich höher, wenn die lebenserhaltenden Schlüsselindustrien stillstehen.
Dass sich in der Bundesrepublik eine solche Zwangswahl zwischen Skylla und Charybdis, zwischen Grundversorgung der Bevölkerung und Lebensfähigkeit der Wirtschaft, überhaupt abzeichnet und kein abwegiges akademisches Gedankenexperiment darstellt, ist für sich betrachtet schon ein völliges Ding der Unmöglichkeit. Mit dem Ukraine-Konflikt hat dieses Dilemma kausal eigentlich überhaupt nichts zu tun – sondern ausschließlich damit, welche unfähigen und fahrlässigen Stümper, faktischen Landesverräter und ideologiegetriebenen Saboteure dieses Land seit 20 Jahren in Grund und Boden regieren. Die autodestruktive Energiepolitik, die Deutschland – wie in vielen anderen Feldern auch – in die totale Abhängigkeit vom Ausland getrieben hat (dies im Namen eines blauäugig-weltoffenen „Partnerschafts” und verlogenen Multilateralismus), fordert nun ihren Tribut. Putins Krieg fördert das Problem nur schneller zutage.
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