Michael van Laack
„Totgesagte leben länger” heißt es treffend. Doch für jede Partei sind Wiedergänger wie Leichengift, dass sich in ihrem Körper verbreitet. Will die AfD auch nur mittelfristig überleben, will sie nicht ein Schattendasein in den deutschen Parlamenten fristen, will sie wenigstens die Chance bekommen, ihr Schmuddelkinder-Image abzulegen, muss sie Höcke und die Seinen kaltstellen oder sie verlassen.
Meuthens Kuschelkurs 2016/2017 hat nicht gefruchtet, die Flügelauflösung und angekündigte oder vollzogenen Parteiausschlussverfahren im Osten ebenso wenig. Nicht einmal die Tatsache, dass Höcke im eigenen Bundesland die Notkoalitionen der Altparteien zum Ausbau des Wählerpotenzial kaum nutzen kann, hat ihm geschadet. Totgesagte leben länger!
Höcke und den real immer noch existierenden Flügel kaltstellen wird freilich nicht gelingen, solange sich der Geschichtslehrer und die ihn eskortierenden Geschichtsverdreher und Legendenbilder weiterhin ohne laut vernehmbaren und bis zu einem gewissen Grad auch wirkmächtigen internen Widerspruch als die “wahre AfD” gerieren und so dafür Sorge tragen können, dass das in der Öffentlichkeit erzeugte Bild einer gespaltenen Partei, in der auch nationale Sozialisten, die sich unter dem Deckmäntelchen des “Sozialpatrioten” verbergen, erheblichen Einfluss behalten, verfestigt wird.
Das Desaster von Riesa: Verdrängt, aber nicht vergessen!
Der Parteitag in Riesa war ein absolutes Desaster. Dass die MSM nach vorzeitiger Beendigung der Veranstaltung nur knapp 24 Stunden ihren Hohn und Spott über die Partei ausgossen, dürfte einzig dem Umstand zu verdanken sein, dass der Krieg in der Ukraine, die Inflation und die unsichere Zukunft mit Blick auf die Energiesicherheit die dominierenden Themen blieben und man der AfD nicht zutraut, dass sie zu deren Lösung auch nur ansatzweise einen konstruktiven Beitrag leisten könnten.
Die Partei selbst hat das Ereignis ebenfalls so schnell als möglich vergessen zu machen gesucht. In den Tagen nach dem Parteitag suchte man auf deren Accounts in den sozialen Netzwerken vergeblich nach Beiträgen, die auch nur ansatzweise das Prädikat “Aufarbeitung” verdient hätten. Einmal schütteln und dann schnell zurück zur Tagesordnung.
Druck ist kein Kitt, sondern erzeugt nur kurzfristig Kohäsion
Dabei hat der Verlauf des Parteitags deutlicher als alle bisherigen Rück- und Austritte ehemaliger Sprecher und die zahlreichen gegenseitigen öffentlichen Bloßstellungen gezeigt, dass die AfD nur noch allerhöchster Druck zusammenhält. Erst als manch einem klar wurde, dass die gerade frisch gewählten Sprecher Weidel und Chrupalla schon am nächsten Tag wieder hinschmeißen oder von einigen interessierten Bundesvorstandsmitgliedern weggeputscht werden könnten, wurde die umstrittene Europa-Resolution von der Tagesordnung genommen und das vorzeitige Ende des Parteitages beschlossen.
Zuvor hatte das Höcke-Lager eineinhalb Tage dominiert. Sämtliche Wahlen zum BuVo waren von der Gnade des Thüringer Fraktionsvorsitzenden abhängig, zuvor war die Unvereinbarkeitsliste um eine Gewerkschaft verkürzt worden, deren Kontakte in die rechtsextremistische Szene evident sind.
Das Ostmodell ist nicht auf ganz Deutschland übertragbar
Für immer mehr Bürger im Westen, Süden und Norden der Republik ist diese AfD nicht mehr wählbar. Die Ostgenossen glauben das freilich nicht, denn an ihrem Wesen wird die Partei genesen. Davon sind sie fest überzeugt.
Jene, die davon nicht überzeugt sind, haben über mehrere Jahre versäumt, Fakten zu schaffen, um die Machtergreifung der Höckes, Brandners und Krahs zu verhindern. Versöhnen statt Spalten stand über viele Jahre auf Jörg Meuthens Stirn, dessen dahinter liegendes Gehirn angeblich alles vom Ende her dachte…
Umso zögerlicher und widersprüchlicher waren auch die Signale, die er in die Partei sendete. In Interviews scheute Meuthen sich häufig, klare Position gegen solche Mandatsträger zu beziehen, die sich in Tweets und Kommentaren klar verfassungsfeindlich oder antisemitisch geäußert hatten bzw. von einem Umsturz faselten. PAVs wurden nur halbherzig durchgeführt.
Die Bürgerlichen haben den richtigen Zeitpunkt verschlafen
Als noch eine relativ klare Mehrheit auf Seiten der Bürgerlichen stand, wurde der taktische Fehler begangen, statt eine Spaltung der Partei voranzutreiben, den “Flügel” aufzulösen. Die dümmste Aktion in Meuthens Geschichte als Sprecher der AfD. Denn aufgelöst wurde bloß die äußere Hülle, die Struktur der straff geführten Partei in der Partei blieb erhalten und vor allem lösten sich ihre Protagonisten weder in Luft auf noch hatten sie Bekehrungserlebnisse.
Jetzt, nach Meuthen, steht die AfD vor einem Scherbenhaufen, der sich kaum mehr wieder zu einem benutzbaren Gefäß zusammenkleben lässt. Chrupalla und Weidel – gewählt von Höckes Gnaden und umgeben von einem mehrheitlich völkisch-nationalen Bundesvorstand – werden entweder die Reinigung der Partei von allen “Feindzeugen” und widerborstigen “Auszuschwitzenden” mitvollziehen müssen oder schon bald selbst Geschichte sein. Spätestens nach dem nächsten Parteitag.
Es braucht einen Sonderparteitag, der die Machtfrage final klärt
Und der wird bald kommen müssen, denn viele wichtige Fragen konnten wegen des vorzeitigen Endes in Riesa nicht mehr besprochen werden. Höckes Fraktion wird deshalb auf den nächstmöglichen Termin drängen, möglicherweise sogar in Form eines Sonderparteitags. Ob die Bürgerlichen dann noch eine letzte Chance bekommen werden, die Versäumnisse der Vergangenheit auszubügeln, lässt sich nicht mit Bestimmheit sagen. Aktuell bewegen wir uns im Bereich von 50:50 – Eiinige wenige Delegierte, die sich von den einen oder anderen “überzeugen” lassen, geben entsprechend bei Wahlen und Beschlüssen den Ausschlag.
Doch es muss jedem klar werden: Nach dem nächsten Parteitag muss die Höcke-Frage endgültig geklärt sein. Und dann muss die Trennung erfolgen. Zwei Parteien in einer ist auf längere Sicht ein unhaltbarer Zustand und schon jetzt ein in der Geschichte großer deutscher Parteien einmaliger Vorgang. Entweder, das bürgerliche Lager setzt sich auf dem nächsten Parteitag in allen Fragen durch – dann wird die Ostpartei sich von ganz allein abnabeln (Planspiele dafür liegen in Thüringen schon seit der Debatte um die Auflösung des Flügels auf dem Tisch) – oder aber die als Sozialpatrioten getarnten nationalen Sozialisten setzten sich knapp durch…
Das Dilemma jener Mandatsträger, die ihre „alte AfD“ zurückwollen
Dann müssen die Bürgerlichen so geschlossen als möglich die Partei verlassen (mindestens aber die Fraktionen in Bund und Land), falls ihnen noch irgendetwas an ihrer Glaubwürdigkeit liegen sollte. Geschlossenes Verlassen bedeutet selbstverständlich nicht, dass sie in den kommenden Jahren alle einen gemeinsamen Weg beschreiten oder eine neue Partei gründen sollen oder werden. Das ist ohnehin nicht zu empfehlen.
Hier lag Jörg Meuthen richtig: Besser in eine Partei eintreten, die einen aussichtlosen Kampf kämpft, als eine Partei gründen, deren grandioses Scheitern wie alle konservativen und patriotischen Projekte vor und nach der AfD vorhersehbar und mit einem nicht unerheblichen Imageschaden für die Gründer verbunden ist.
And now, the end ist near – And so I face the final curtain…
Aus meiner Sicht ist die AfD (auch wenn Umfragen sie aktuell zwischen 9 und 12 % auf Bundesebene sehen) inhaltlich bereits vollends gescheitert und wird das auch bald an der Wahlurne bestätigt bekommen. Niedersachsen dürfte der nächste Augenöffner für die Ostgenossen sein, auch wenn sie sich bisher von der verheerenden Niederlage bei den Landrats- und OB-Wahlen im eigenen Machtbereich unbeeindruckt und ebenso wenig gewarnt zeigen.
Schade drum, denn mit dem Fall der AfD in die Bedeutungslosigkeit wird auf viele Jahre ein größeres konservatives Projekt verunmöglicht; zu groß die Angst sich daran dann eventuell beteiligen Wollender, dass einmal mehr die Ewiggestrigen alten Neurechten mit ihrer glänzenden Rhetorik und ihren geschichtsträchtigen Visionen alles zerstören.
2013 und dann wieder 2017 richteten sich viele Augen auf das erste erfolgreiche patriotisch-konservative Projekt rechts von der Union. Übriggeblieben ist Ernüchterung, ein Scherbenhaufen und eine mehr als ungewisse Zukunft.
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