Peter Helmes
Fordern ja, aber nicht ohne Gegenleistung! Kompromiß gesucht
Das „Fordern vom Staat“ ist zwar seit langem zur gesellschaftspolitischen Gemeinübung geworden, aber dabei wird Wesentliches häufig ausgeblendet:
1. Der Staat – das sind wir und nicht eine anonyme Geldmaschine.
2. Wer fordert, muß auch zu einer Gegenleistung bereit sein.
3. Kommt eine Förderung zustande, muß sie sozialverträglich sein – also darf nicht gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielen.
4. Leistung muß sich lohnen, also muß es grundsätzlich Förderunterschiede zwischen Leistungserbringern und Nichtleistern geben.
Was die Bundesregierung aber jetzt als Bürgergeld-Vorschlag auf den Tisch bringt, setzt ein großes Fragezeichen hinter die eben aufgezeigten Grundsätze. „Wachsweiches Sozialgedusel“, könnte man dies gewiß nennen.
Die Debatte um das sogenannte Bürgergeld verläuft leidenschaftlich. Schließlich geht es um viel bei der Sozialreform, mit der sich vor allem die Sozialdemokraten von einer ihrer größten Streitfragen der jüngeren Geschichte verabschieden wollen. Doch für die Union setzen die Pläne die falschen Anreize. Denn vom lange erfolgreichen Grundsatz „Fördern und Fordern“ würde man sich künftig verabschieden.
Was plant die Ampelregierung?
Das sogenannte Bürgergeld soll das bisherige Hartz IV ersetzen. Die Bezieher sollen mehr Geld bekommen, die Regelsätze sollen um rund 50 Euro steigen. Außerdem planen die Koalitionäre einen weniger strengen Umgang mit Blick auf die Wohnungsgröße, anzurechnendes Vermögen und Mitwirkungspflichten der Leistungsbezieher:
- Das Vermögen einer Person kommt erst nach zwei Jahren der Auszahlung zum Tragen.
- Ebenso sollen die Wohnungskosten zwei Jahre lang ohne Obergrenze anerkannt werden.
- In den ersten 24 Monaten sollen Leistungen dann gewährt werden, wenn kein „erhebliches Vermögen“ vorhanden ist. Die Grenze hier: 60.000 Euro. Das langfristige Schonvermögen soll auf 15.000 Euro erhöht werden.
- In den ersten sechs Monaten sollen Leistungen nicht gekürzt werden können, wenn beispielsweise eine zumutbare Arbeit nicht angenommen wird.
Die Ampel-Koalition will so Betroffene stärker in die Lage versetzen, sich auf Weiterbildung und die Arbeitssuche konzentrieren zu können. Oder wie es der SPD-Generalsekretär Kühnert gegenüber dem Deutschlandfunk ausdrückte: Betroffene sollten „den Kopf frei haben, sich zu qualifizieren und weiterzubilden, neue Arbeit zu suchen, und sollen sich nicht rumschlagen müssen“ mit dem Aufbrauchen von Vermögenswerten oder einem Umzug.
Was kritisiert die Union?
Hier setzt die Kritik der Union an. Auch CDU und CSU sprechen sich zwar angesichts der Inflation für höhere Regelsätze zum Jahreswechsel aus. Die Schwesterparteien fürchten aber durch einzelne Regeln und den Wegfall bestimmter Verpflichtungen falsche Anreize. Es sinke der Druck, eine Arbeit aufzunehmen statt staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die SPD wiederum ist nicht gut beraten, wenn sie ignoriert, daß es Unmut bei Geringverdienenden gibt. Viele von ihnen wissen trotz staatlicher Hilfszusagen nicht, wie sie ihre Gas- und Stromrechnungen zahlen sollen, während Heizkosten für Hartz-IV-Empfänger vom Staat übernommen werden.
Bürgergeld darf nicht der Komfortsicherung dienen
Problematisch wird ein Bürgergeld dann, wenn seine Ausgestaltung finanziell so komfortabel ist, daß die Empfänger sich damit einrichten. Das ist bei einem Regelsatz von 502 Euro nicht unbedingt zu erwarten. Doch wenn Anreize verloren gehen, einen neuen Job aufzunehmen, weil etwa Sanktionen zu spät einsetzen oder die Rücklagen von Betroffenen geschont werden, dann bekommt das Ganze eine Schieflage – Stichwort: soziale Hängematte.
Universelle Sozialleistungen ohne Gegenleistung sind aber nicht im Sinne des Staates und auch nicht im Sinne der Gesellschaft. Es ist völlig richtig, daß Unionsfraktionschef Merz als Oppositionsführer darauf hinweist. Denn trotz der von der Ampel vorgenommenen Nachbesserungen bleiben diese Fragen offen.
Man darf natürlich die Gruppen der Geringverdiener und der Hartz-IV-Bezieher nicht gegeneinander ausspielen. Man darf aber auch nicht einfach ausblenden und totschweigen, daß es auch heute schon eine Unwucht im System gibt, die sich durch die galoppierende Inflation verstärkt. Und ja: Das Lohnabstandsgebot gilt es einzuhalten – also die Vorgabe, daß, wer erwerbstätig ist, mehr Geld zur Verfügung hat als Nichterwerbstätige.
Politischer Machtkampf, bei dem Hilfebedürftige auf der Strecke bleiben könnten
Aus dem Streit ums Bürgergeld ist ein erbitterter Machtkampf zwischen Regierung und Opposition geworden. Ampel-Leute werfen der Union vor, das Nachfolgemodell zum Hartz-IV-System mit populistischen AfD-Methoden und Fake News im Stil von Donald Trump zu bekämpfen und das Land zu spalten. Unionsleute wiederum geißeln die geplante Sozialreform der Bundesregierung als Freifahrtschein für Faulenzer und werfen der Ampel Arroganz, gezielte Beleidigungen und politische ‚Brunnenvergiftung‘ vor.
Ärgerlich für die Ampelleute: Sie brauchen die Union, um ihre Pläne durch den Bundesrat zu bekommen. Ärgerlich für alle Leistungsbezieher: Ohne eine Einigung zwischen Regierung und Opposition können die Bezüge zum 1. Januar nicht steigen. Und ärgerlich für die Union: Sie könnte nachher als Verhinderer von dringend nötigen Entlastungen dastehen.
Wie geht es jetzt weiter? Nachdem der Bundestag über das Bürgergeld-Gesetz abgestimmt hat, muß der Bundesrat darüber entscheiden. Kommt dort, wie von der Union angekündigt, keine Mehrheit zustande, geht das Gesetz in den Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat, der sich um einen Kompromiß bemüht. Dieser müßte dann wiederum von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Möglich wäre als solcher etwa, daß der Bund die entstehenden Mehrkosten für Länder und Kommunen ausgleicht.