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Aus dem Mund eines fiktiven, machthungrigen russischen Politikers, der sich nachhaltig am Untergang der Sowjetunion quält, in einem Hollywoodfilm, hörte ich folgenden Satz über Russland: „Wir waren einst das Monster, das die Welt um den Schlaf brachte!“ Ein Satz, den ein amerikanischer Drehbuchschreiber in den Film einbrachte, um dem Zuschauer eine für den Film, die Fiktion erklärende Botschaft zu vermitteln? Eine Botschaft aus dem Kreml, die man sich heute nicht mehr ausdenken darf?
Nichts hat sich geändert in Russland, nichts ist gut in Russland! Mit dem Untergang der Sowjetunion hat das „Reich des Bösen“ (Ronald Reagan) nicht etwa aufgehört zu existieren. Seit Februar 2022 wird dies uns augenfällig demonstriert.
In den Hochzeiten des Kalten Kriegs empfanden wir – die wir uns erinnern können und wollen – uns tatsächlich oft um den Schlaf gebracht. Also keine fiktive Metapher aus dem Mund eines Hollywood-Russen.
Ein zunehmend deformiertes Staatsgebilde
Vor hundert Jahren wurde die Sowjetunion gegründet, aus dem dieses Monster entstand. Nicht etwa eine „Föderation“ verschiedener, gar gleichberechtigter Staaten, sondern ein allein von Russen bzw. Russland dominiertes Gebilde. So war es in dessen ganzer Geschichte gerechtfertigt, verkürzt von Russland zu sprechen, wenn es um die UdSSR ging.
Ich bin kein Historiker, aber ein interessierter und durchaus in der Materie belesener Zeitgenosse und wage die im Folgenden aufgestellten Assertionen:
- Russlands negative (welt-)politische Aktionen resultierten und resultieren aus einem permanenten Minderwertigkeitsgefühl heraus. Trotz des Staus einer „Supermacht“ bzw. der permanenten imperialistischen Weltmacht-Attitüde.
- Russland hat trotz beeindruckender Erfolge auf dem Gebiet der Weltraum-Technologie nie mit dem Westen auf wissenschaftlichen und technologischen Gebieten mithalten können. Betrachtet man die Zahl der Nobelpreisträger aus dem größten Land der Erde von 1901 bis 2016, weist Russland gerade mal 22 Preisträger auf gegenüber inzwischen 351 aus den USA, 116 aus Großbritannien und 100 aus Deutschland.
- Der angeblich so fortschrittliche, von Russland propagierte Sozialismus führte nicht etwa zur versprochenen Prosperität, sondern zu mehr Verelendung, Depressivität und Deprivation der Bevölkerung. „Nicht der Mangel an modernen Raketen wurde der Sowjetunion zum Verhängnis, sondern, bildlich gesprochen, die Armseligkeit ihrer Küchen.“* Ein Satz ausgesprochen in Bezug auf Chruschtschows gescheiterte Versprechen, die USA auch auf wirtschaftlich-gesellschaftlichen Gebiet überholen zu können.
- Die Sowjetunion wurde bis zur Perestrojka Gorbatschows nicht müde, die Ungerechtigkeit und den ausbeuterischen Charakter des westlichen Systems anzuprangern. Das hinderte sie aber nicht daran, ihm in einer anderen, entscheidenden Hinsicht nachzueifern, in der wirtschaftlich-technologischen Leistungskraft. Daran gemessen, sah sich auch das sozialistische Russland im Rückstand. Nach wie vor galt es aufzuholen. Was aber nie gelang!
- Russland besitzt im Bezug auf Massenvernichtungswaffen das weltweit größte Potential, über beeindruckend demonstriertes Militärgerät mit schierer Masse. Die Militärstruktur ist aber durch Korruption, personelle und organisatorische Ineffizienz gezeichnet, wie sich jetzt im Ukrainekrieg beweist. Dazu besteht für das Funktionieren des Militärgeräts eine Abhängigkeit von fremder, besonders westlicher „Hightech“; sogar China ist technologisch hier inzwischen gegenüber Russland überlegen oder im Vorteil.
Noch eine Besonderheit weist die russische Militärmacht auf, die „Dedowschtschina“ („Herrschaft der Großväter“) welche das in den russischen Streitkräften bis heute übliche Schikanieren jüngerer wehrpflichtiger Soldaten durch Dienstältere bezeichnet. Auch ein Erbe aus der Zarenzeit, das bis heute nicht überwunden wurde. So kann sich die russische Streitmacht nicht auf motivierte, patriotisch gesinnte Wehrpflichtige oder Freiwillige stützen. Entlassene Verbrecher und Söldner sind jetzt ein personeller Pfeiler.
Die goldenen und silbernen Zeitalter Moskaus waren viel kürzer als jene Roms
Es gab im Kulturellen nur kurze Phasen der Hochblüte: das nach dem „goldenen“ Puschkins als «silbernes Zeitalter» der russischen Kunst bezeichnet wurde, von ca. 1898−1925. Eine erstaunliche Explosion innovativer Phantasie und Schöpferkraft seinerzeit, die kurzzeitig für eine gewisse Umkehrung des Transfers Europa-Russland sorgte. Das Zarenreich importierte nicht länger Stile und Richtungen, es brachte nun auch eigene hervor und exportierte sie. Europas Künstler schauten auf Russland. Schon länger las man im Westen Tolstoi oder Dostojewski, hörte man Tschaikowsky und Rachmaninov. Am Vorabend des Weltkriegs wurde diese bemerkenswerte Erscheinung sichtbar, dass hier neue Kunstformen und -theorien einer Avantgarde entstanden, die gar der Westen in Teilen abschaute.
Die gesamte Gesellschaft ist bis heute mit Gift versetzt. Apathie und Alkoholismus kennzeichnen die Gesellschaft jenseits der Wirtschaftsautokratie und einer gewissen Intelligenz-Schicht.
Russland scheint nicht ohne einen „Zaren“ auskommen zu können: Von Iwan bis Nikolaus, von Stalin bis Breschnew, von Jelzin bis Putin. Das Land hat sich trotz Reformversuchen in früheren Jahrhunderten auch nicht nach 1989 vom Despotismus abgekehrt.
In Putin lebt(e) die Sowjetunion stets weiter
Das Phänomen Putin ist ohne „Sowjetunion“ nicht zu verstehen. Er ist ein Kind derselben – nicht nur als gelernter KGB-Offizier. Er bezeichnete ihren Zusammenbruch als die größte geopolitische Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Und er träumt davon, sie wiederherzustellen. Was es umso erstaunlicher macht, dass auch „Konservative“ auf seine Rhetorik hereinfallen und in ihm einen Hüter konservativer Werte sehen und dabei übersehen: Die Sowjetunion lebt mit Putin fort.
Der KGB-Überläufer Yuri Bezmenov sprach 1984 über das sowjetische System von einem Gehirnwäsche-Prozess, der sehr langsam vor sich geht. „Die erste Phase ist die Demoralisierung. Sie dauert 15 bis 20 Jahre. …Weil es so lange braucht, um Generationen von Studenten zu erziehen und sie der feindlichen Ideologie auszusetzen …“. Die Studenten, die in den 60er Jahren ihre Abschlüsse machten, waren dann in den Spitzenpositionen angelangt. Und dieser Prozess hielt bis heute an und personell zeigt sich dies jetzt in der Kaste der „Silowarchen“ oder „Siloniki“, weniger bei den „Oligarchen“ in der Umgebung Putins.
Wenn der «Westen» als Feind betrachtet wurde, bemühte man sich schon im alten Russland um Distanz und betonte seine eigenen Werte und Traditionen. Wenn man den Westen zeitweise in ein günstiges Licht rückte, suchte man seine Nähe und bemühte sich, Errungenschaften, die man für überlegen hielt, zu übernehmen – gleichmütiges Desinteresse blieb selten. Der Westen war immer präsent, negativ wie positiv.
Grenzverschiebung ist auch Kopfsache
Die Abgrenzung erfolgte vor allem entlang der kirchlichen Zugehörigkeit. Daher begann der „Westen“ aus russischer Sicht zur damaligen Zeit bereits jenseits der Grenze zu Polen-Litauen und nicht erst in Mitteleuropa.
Während der Westen sich seit je überwiegend im Gefühl der Überlegenheit sonnte, wurde sie in Russland zum Wechselbad von Hochschätzung und Ablehnung, von Nacheifern und Besinnung auf Eigenständigkeit.
Europa, längst ergänzt durch Nordamerika, erschien als Symbol für beides: materiellen Wohlstand und politische Freiheit. Etwas, das aber in Russland mit allen „Reformen“ der Zaren und dann mit der angeblich so „fortschrittlichen“ Sowjet-Ideologie, die sogar „westliche“ Eliten und Politiker zeitweise beeindruckte, nie erreicht wurde.
Was bleibt denn, wenn man aus seinem Minderwertigkeitskomplex herauswill? Eine wirklich vorhandene Minderwertigkeit, die übertrieben erlebt wird, kann mit einer mehr oder weniger eingebildeten Überlegenheit kompensiert werden; so die Auffassung in der Individualpsychologie. Wir haben es aber mit mehr, als mit dieser zu tun. Wir haben es mit der Führungselite des flächenmäßig größten Landes der Erde zu tun, einer Nation, die den damit verbundenen, angenommenen Ansprüchen aber nie, zu keiner Zeit, zurechtkam. Wie eingebildete Prätentionen an ihre Grenzen gelangen, erlebt Russland jetzt mit der Ukraine.
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*) Blogger „altmod“ (http://altmod.de) ist Facharzt und seit Beginn Kolumnist bei conservo.
Dieser Artikel ist auf seinem Blog am 01.01.2022 unter der Überschrift “Russland, die stets gekränkte Nation und der Westen” Zwischenüberschriften und YouTube-Link von der conservo-Redaktion.