Dr. PHIL.MEHRENS*
Nach der Veröffentlichung neuer Untersuchungsergebnisse aus dem Bistum Mainz findet die Debatte um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche kein Ende. Doch der Hauptgrund für den Sittenverfall in den Pfarrhäusern wird weiterhin konsequent verschwiegen, weil er die LGBT-Bewegung in einem ungünstigen Licht erscheinen lässt.
Am vergangenen Freitag rückte der Missbrauchsskandal innerhalb der katholischen Kirche erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der mit einer Studie befasste Rechtsanwalt Ulrich Weber machte neue Untersuchungsergebnisse öffentlich, die belegen, dass auch im Bistum Mainz, wie bereits für andere Bistümer ermittelt, Fälle von sexueller Gewalt nicht konsequent verfolgt und teilweise unter den Teppich gekehrt wurden. “Erschreckend” nannte Bischof Peter Kohlgraf die Erkenntnisse, bezeichnete die zuvor oft verharmlosten Fälle von Missbrauch als Verbrechen.
“Ein ganzes System hat versagt”, so Kohlgraf, der auch andeutete, dass die Studienergebnisse die Amtszeit der Bischöfe Albert Stohr, Hermann Kardinal Volk und Karl Kardinal Lehmann (langjähriger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz) nicht im günstigsten Licht erscheinen läßt.
Die LGBTIQA+usw.-Lobby hatte mit Benedikt XVI. noch eine Rechnung zu begleichen
Die erneute Debatte ruft jene vor einem Jahr in Erinnerung, bei der der im Dezember verstorbene Papst Benedikt XVI. seine letzte Schlacht zu schlagen hatte: Ihm wurde als ehemals zuständigem Erzbischof von München und Freising vorgeworfen, einen Missbrauchstäter nicht aus dem Verkehr gezogen und in Bezug auf seine Teilnahme an einer Sitzung, bei der in dem Fall entschieden wurde, eine unzutreffende Aussage gemacht zu haben.
Die unangemessen aggressiven Vorhaltungen seiner Kritiker ließen freilich schon damals den Verdacht keimen, dass hier alte Rechnungen beglichen werden sollten. Benedikt XVI. hatte sich 2019 in seiner letzten größeren Schrift nämlich intensiv mit der Missbrauchskrise befasst. Und seine Ursachenforschung hatte es in sich: Die Übergriffe von Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern auf Schutzbefohlene brachte er in Verbindung mit der sittlichen Verwahrlosung in der Ära von Studentenprotest und sexueller Revolution und forderte als Gegenmittel ein “Zurück zu Gott!”.
Homo-Clubs in Priesterseminaren
Konkret hatte Ratzinger von “homosexuellen Clubs” in Priesterseminaren und als Fallbeispiel von einem Bischof berichtet, der Seminaristen Pornofilme vorführen ließ. Mit anderen Worten: Die – auch den Bereich der Pädophilie einschließende – Enttabuisierung jener Zeit hatte auch die Kirchen voll erwischt. Fürwahr eine unappetitliche Thematik, die anzusprechen indes für die linke Orthodoxie ein größeres Sakrileg ist, als wenn ein Kardinal auf einer Sau durch das Portal des Petersdoms geritten gekommen wäre.
Der Papst a. D. hatte einen Frontalangriff auf die heilige Kuh gewagt, die in der deutschen Christenheit das Kreuz Christi längst in den Schatten stellt. Wütende Angriffe seitens liberaler Katholiken waren die Folge. Benedikts Argumentation konterkarierte das von interessierten Kreisen etablierte Narrativ von den “Männerbünden” und problematischen Machtstrukturen als Hauptgrund für den Skandal. Die mag es gegeben haben. Nur ein spezifisch katholisches Problem sind sie nicht, wie nicht nur die parallelen Fälle in der evangelischen Kirche und in nicht-klerikalen Jugendbildungsstätten zeigen. Selbst die mit Atheisten durchsetzte Linkspartei ist laut einer Lagebewertung des Chefs ihrer Jungkaderschmiede, Jakob Hammes, betroffen – auch Linke können Missbrauchsskandal.
Tatsächlich ist der von Benedikt XVI. zur Diskussion gestellte Zusammenhang längst bestätigt, und zwar durch die von der katholischen Kirche zur Aufarbeitung der Vorwürfe in Auftrag gegebene Studie Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz von 2018, die hierzulande ein breites mediales Echo fand. 1.670 Täter und 3.677 Opfer wurden aufgrund der in den Diözesen liegenden Akten der Jahre 1946 bis 2014 ermittelt. Allerdings hat sich von den vielen deutschen Qualitätsmedien offenbar keines die Mühe gemacht, sich die 356 Seiten mal etwas genauer anzusehen, um zu prüfen, ob an Ratzingers Thesen vielleicht doch was dran sein könnte.
Die sexuelle Revolution ist eine Heilige Kuh
Der eigentliche Sprengstoff der Studie liegt nämlich nicht in der hohen Zahl der dokumentierten Fälle, sondern erstens darin (wie an dieser Stelle bereits berichtet), dass rund zwei Drittel der Vorfälle gleichgeschlechtlicher Art waren, und zweitens darin, dass die sexuelle Revolution wie ein Brandbeschleuniger für die sittenwidrigen Übergriffe wirkte. Nie gab es mehr Erstdelinquenten als in den Jahren zwischen 1965 und 1970. Mehr als jeder zehnte derjenigen Täter, von denen sich das Datum des ersten Vergehens ermitteln ließ, beging dieses in den fünf Jahren zwischen 1965 und 1970, die als Hoch-Zeit der “sexuellen Befreiung” gelten. Im Vergleich zum Zeitraum 1946 bis 1950 hat sich die Zahl der Delinquenten verdoppelt.
Rund 42 Prozent aller zeitlich zuzuordnenden Ersttaten entfallen in dem Gesamtuntersuchungszeitraum von über siebzig Jahren (Akten von 1946 betreffen auch Missbrauchsfälle aus der Zeit vor 1946) auf die zwanzig Jahre von 1955 bis 1975. Der Anstieg fällt auffällig zusammen mit der Veröffentlichung des Kinsey-Reports im Jahr 1955, der allgemein als Startschuss der Entwicklung zu einem offeneren Umgang mit der menschlichen Sexualität gilt.
Das Absinken der Zahlen nach 1975 will die Studie wegen einer angenommenen hohen Dunkelziffer nicht als grundsätzliche Entwarnung verstanden wissen. Viele Opfer sind aus Scham erst mit größerer Distanz zu dem Erlittenen bereit, ihre Opferrolle öffentlich zu machen. Es kommen also desto mehr Missbrauchsfälle ans Licht, je länger sie zurückliegen. Auch wenn der Höhepunkt der Libertinage (Kinderläden, Oswalt-Kolle-Filme) Anfang der Siebziger überschritten war, blieb Missbrauch eine konstante Größe.
80 % der angeklagten Täter sind dem queeren Milieu zuzuordnen
In drei Teilprojekten wurde ein deutliches Übergewicht gleichgeschlechtlicher Missbrauchsdelikte ermittelt: 62,8 Prozent bei der Auswertung der Daten aus den Diözesen, 80,2 Prozent bei der Analyse von Strafakten der Staatsanwaltschaften. Die Teilstudie, die auf Interviews mit Beschuldigten und Betroffenen basiert, hatte zum Ergebnis, dass 80 Prozent der Täter eine LGBT-Orientierung aufwiesen (Tab. 2.40). Der Anteil homosexuell empfindender Menschen unter den Delinquenten ist signifikant höher als in “anderen institutionellen Kontexten”, bilanzieren die Autoren. Als Erklärung bieten sie an: Junge, “unreife” Homosexuelle habe “die Aussicht auf ein enges Zusammenleben ausschließlich mit Männern” während der Priesterausbildung angelockt.
Bemerkenswert ist die kollektive Entschlossenheit deutscher Qualitätsmedien, die das Thema des sexuellen Missbrauchs mit maximaler Aufklärungsbereitschaft aufgegriffen und sich hernach in die Thematik monatelang förmlich verbissen haben, die statistischen Belege für einen Zusammenhang zwischen Missbrauchsfällen und gesamtgesellschaftlicher sexueller Enthemmung großkurvig zu umfahren, um ja die heilige Kuh nicht umzunieten, während sie die Schlussfolgerungen des linksfeministisch und geschlechtsrevisionistisch orientierten “synodalen Wegs” hinsichtlich hierarchischer Verkrustungen, patriarchaler Strukturen und rückständiger Rollenverteilungen mit schulterklopfendem Wohlwollen begleiteten. Um nicht zu sagen: sich mit ihnen als einer guten Sache gemein machten.
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*Das Titelbild, die Artikelüberschrift, der Twitter-Link und die Zwischenüberschriften stammen nicht vom Autor, sondern wurden von der conservo-Redaktion ausgewählt. Der Autor hatte als Überschrift “Bloß keine heiligen Kühe umnieten!” vorgeschlagen, was jedoch mit Blick auf die Thematik für Suchmaschineneinträge nicht die notwendigen Stichworte enthalten hätte, weshalb die Redaktion auch hier – wie bei den meisten Artikeln unserer Gastautoren – eine pointierte Überschrift gewählt hat.