Michael van Laack
Es ist immer recht schwierig, einen Beitrag Dritter zum Anlass für einen eigenen Artikel zu nehmen, wenn der Schreibwut auslösende Text aus der Feder eines Autors stammt, den man seit manchem Jahr privat sehr schätzt. Da aber mein ehemaliger Direktor im Erzbischöflichen Collegium Marianum nur die zwei Phrasen “Wer sich verteidigt, klagt sich an” und “Stillschweigen bedeutet Zustimmung!” in einer “Diskussion” mit ihm gelten ließ und ich weiß, dass Markus Gehling nicht wie Msgr. Johannes Börsch tickt, traue ich mich, ein paar “Widerworte” zu geben.
Wie auch immer! Markus Gehling ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Peter und Paul in Voerde, zu der auch das Dorf Spellen mit der Kirche St. Peter gehört, in dem ich vor meinen beiden jeweils mehrjährigen Aufenthalten in Bayern viele Jahre gelebt habe und aktuell auch wieder schwerpunktmäßig lebe, auch wenn der Wohnsitz im Unterallgäu als zweiter erhalten bleibt.
Neue Ämter braucht die Kirche
Für das Online-Magazin von “Kirche & Leben”, der Kirchenzeitung für das Bistum Münster, hat er am 25. April 2023 einen Meinungsbeitrag mit der Überschrift “Warum es Zeit ist, neue Ämter zu entdecken” geschrieben, der sich mit der Frage der aktuellen Struktur (nicht zu verwechseln mit dem Wesen) der Kirche, dem Priesterbild, dem Zölibat und der Notwendigkeit der Schaffung neuer Ämter (deren Namen und Ausgestaltung allerdings größtenteils im Unkonkreten bleiben) beschäftigt.
Es gab Zeiten, da war Markus Gehling stolz darauf, dass seine Nikolausaktionen (Verkauf von echten Schoko-Nikoläusen, nicht affigen Weihnachtsmännern) u. a. von Gerhard Ludwig Kardinal Müller mit einem Grußwort bedacht wurde. Ob er dessen Namen heute noch aussprechen kann, ohne Ausschlag zu bekommen, wage ich nicht zu beurteilen.
Nun scheint er jedenfalls (um mal einen politischen Ausdruck zu verwenden) die Seiten und das “Parteibuch” gewechselt zu haben. Zumindest zweifelt er – erschreckt von den vielen Priestern, die Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht haben – an manchen seiner bisherigen Gewissheiten.
Priester sein macht keine Freude, oder?
Es gäbe so viele Priester, die in Einsamkeit leben, an Liebesmangel leiden und (vielleicht auch deshalb) dem Alkohol verfallen würden. Zudem konstatiert Markus gehling, dass immer größere pastorale Räume (wegen des Priestermangels) zu Überlastungen führen. Auch seien nicht wenige Priester mit berufsbildfremden Tätigkeiten überfrachtet, sodass für ureigene Aufgaben oft nur wenig Zeit bliebe. Nur selten könne der Priester deshalb noch ganz und gar “Pastor bonus” und “alter Christus” sein.
Vieles von dem ist selbstverständlich richtig! Doch die zumindest im Subtext durchscheinende Konklusion, dass es deshalb neue Ämter bräuchte und man über die Pflicht zum zölibatären Leben nicht nur diskutieren, sondern selbige abschaffen müsse, ist falsch. Denn vieles von dem, was Gehling zurecht beklagt, ist in Deutschland und ein paar anderen Ländern des Westens (Niederlande, Belgien, Teile Frankreichs usw.) hausgemacht. Zudem vermisse ich in seinem Beitrag (bei der erlaubten Wortzahl eines Meinungsbeitrags darf man selbstverständlich auch nicht zu viel verlangen) eine Unterscheidung zwischen Beruf und Berufung, Geweihten und Laien.
Die Kirche hat sich über viele Jahrzehnte in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht durch permanenten theologischen Streit auf offener Szene. Zudem wurden die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht einfach nur falsch rezipiert, sondern auch nach dem Aschenputtel-Prinzip bewertet: Was uns nicht weit genug geht oder aus anderen Gründen nicht gefällt, kommt ins Kröpfchen – das andere mit Linsen aus dem eigenen Anbau aufgewertet ins Töpfchen. Diese Tatsache ist übrigens das Hauptargument dafür, dass manch ein konservativer Katholik schon seit langem (weit vor dem Start des “Synodalen Weges” behauptet, die römisch-katholische Kirche in Deutschland befände sich in einem latenten Schisma.
Missbrauch, Liebesmangel, Suff
Markus Gehlings Beispiele im “Kirche & Leben”-Beitrag sind schwach. um nicht “neben der Sache liegend” schreiben zu müssen. Denn es soll auch viele Krankenhausärzte und Polizisten geben, die zu Trinkern werden, weil ihr Job sie beziehungsunfähig gemacht hat oder sie den beruflichen Stress nicht anders kompensieren zu können glauben. All das ohne Zölibat!
Auch gibt es wohl nicht wenige alte und hochhalte Gärtner, Bäcker und Installateure, die ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Familie hatten, früh verwitweten und/oder verbitterten, immer allein vor dem Fernseher saßen, weil man sie in Vereinen nicht ernstnahm, einen kleinen oder gar keinen Freundeskreis hatten, peu à peu vereinsamen und erstmals im Pflegeheim wirkliche Zuwendung erfuhren. Ganz ohne Zölibat.
Ja, Priester haben, als noch kein Mengel herrschte, häufig in Gemeinschaften zusammengelebt. Im günstigsten Fall zu dritt oder viert. In den Häusern der von allen aufrechten und anständigen Katholiken verachteten Priesterbruderschaft St. Pius X. ist das noch heute so.
Und ebenfalls Ja: In der Tat stellt der Priestermangel die Pfarrer oder Kapläne (so lautet ja seit den Pfarrgemeinde-Zusammenlegungsexzessen der kirchenrechtliche Titel nicht weniger Priester) auf eine harte Probe. Doch erleben sie während des Tages Gemeinschaft und Gesallschaft in vielfältigster Art, wenn auch keine intime. Sie müssen halt am Abend wie manche Witwe oder nicht wenige Unverheiratete in ihre leere Wohnung zurückkehren. Das ist gewiss nicht für jedermann schön, aber auch kein Drama. – Darüber hinaus sind auch das die Folgen eines im Wesentlichen von der modernistischen Fraktion herbeigeführten Niedergangs:
Das Fundament ist stabil, aber das Haus wird kaputtrenoviert
Damit meine ich jene Kleriker und hauptamtlichen Laien, die sich seit fast zwei Jahrzehnten an Strukturreformen abarbeitet, die oft unfertig und selten vom (pastoralen) Ende her gedacht zur Anwendung kommen; wohl auch, weil man Kritikern in der Entscheidungsfindungsphase von Reformprozessen nicht zuzuhören bereit war, nicht gefällige Gutachten beiseiteschob und stattdessen z. B. die Unternehmensberatung McKinsey zum obersten Kirchenversteher erklärte.
Der Bock wurde und wird also allzu oft zum Gärtner gemacht, um eine Kirche strukturell zu reformieren, die nach dem Zweiten Weltkrieg (vor allem in den frühen 50er- bis frühen 70er-Jahren) in vielen Bistümern hinsichtlich der Zahl der Pfarrkirchen aufgeblasen wurde, weil man das Wort Priestermangel nicht kannte und zudem in den Jahren nach dem so genannten „Neuen Pfingsten“ des II. Vatikanischen Konzils (1962-65) an noch dichter bewachsene und kräftiger blühende katholische Landschaften glaubte.
Wir sahen seit den späten 60ern eine Kirche, die Professoren an katholische Fakultäten mehr und mehr als Ersatzlehramt verstand, bevor dieses Ersatzlehramt dann Mitte der 70er auf ein vom ZdK dominiertes und permanenten Druck auf die Bischöfe ausübendes Rätesystem überging, welches sich ab den 80ern endgültig verselbstständigte und politisch besetzt zuerst rot, dann grün und mittlerweile dunkelrot (schaut man z. B. auf die Verehrung der LGBTI-Flagge, sogenannte Gendergerechtigkeit, das unreflektierte Nachplappern aller Forderungen des Staates im Bereich Klimaschutz, Feminismus und den als Kampf gegen alles Konservative kaschierten “Kampf gegen rechts”) gefärbt hat.
Wir sahen eine Kirche, die seit der Würzburger Synode Reförmchen auf Reförmchen, Experiment auf Experiment und neue pastorale auf neue pastorale Idee häuft, deren Einheit in der Liturgie vielerorts nur noch auf dem Papier im Messbuch steht, die das Sakrament der Beichte nahezu abgeschliffen hat, die das Ehesakrament durch Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare verwässern möchte, die sich seit den 90ern immer häufiger und vehementer offen gegen den Nachfolger des hl. Petrus stellt und die…
Eine Kirche, die an nichts mehr glaubt… außer an die Kirchensteuer!
Ach was, das reicht1 Diese Kirche jedenfalls ist weder durch Schaffung neuer Dienste und Ämter noch durch die Verwässerung der heraushebenden Bedeutung der Priesterweihe noch durch Aufhebung des Zölibats oder Einführung des Diakonen- bzw. Priesteramt für die Frau zu stabilisieren. Noch dazu, weil es sich um eine Kirche handelt, die Evangelisierung und Mission als Proselytenmacherei definiert und entsprechend über mehrere Jahrzehnte ins geistig-geistliche Koma geschrumpft hat.
Zudem sehen wir eine Kirche, deren finanzielle Abhängigkeit vom Staat in diesen Tagen immer klarer zutage tritt und die ein Kirchensteuersystem, welches ermöglicht, das Abwenden von der Kirche in Zahlen anschaulich darzustellen und entsprechend als Druckmittel für angeblich dringend notwendige Reformen darzustellen.
Je länger der Eber im Weinberg wüten kann…
Kurz und gut: Die römisch-katholische Kirche in Deutschland muss nicht zur kleinen Herde werden, um sich gesundzuschrumpfen und neu anzufangen. Nein, sie hat in den vergangenen Jahrzehnten in manchem Bereich zu viele fruchtlose Neuanfänge absolviert, auch wurde öffentlich von nicht wenigen hauptamtlichen Kritikern in die guten Progressiven und die schlechten konservativen Christen kategorisiert und hat ihr schlechtes Image in der Öffentlichkeit vor allem dem zu verdanken, dass viele ihrer Kleriker und pastoralen Mitarbeiter redundant über Jahrzehnte in Predigten und Vorträgen erklärten, was man alles nicht mehr glauben müsse (dürfe), was in der Bibel nur Einschübe oder unwissenschaftliche Aussagen seien, was der böse alte weiße Mann im Vatikan nun schon wieder mit seiner Kurie angerichtet habe und das “Lebenswirklichkeit” die primäre Offenbarungsquelle werden müsse.
„Passt euch dieser Welt nicht an, macht euch ihr nicht gleich“ wurde ersetzt durch: Wir müssen anhand der Moralvorstellungen und gewählten Lebensweise der Menschen unserer Verkündigung ausschließlich begleitend und nicht mahnend anlegen. Eine solche Kirche, die sich übrigens größtenteils nur noch auf dem bekanntlich geduldigen Papier und in Kirchensteuerfragen römisch-katholisch nennt und ansonsten deutsch-katholisch oder anders-katholisch (wie Bischof Bätzing es neulich formulierte), hat es nicht verdient, von den Pforten der Hölle nicht überwältigt zu werden.
Möge diese “Kirche” rasch überwältigt werden, damit sie die immer noch große Zahl christus-, papst- und glaubenstreuen Katholiken nicht überleben und so dafür sorgen kann, dass nur noch Wüstenboden ohne jedes Senfkorn Hoffnung übrigbleibt, nachdem ihnen der Durcheinanderwürfler – ihre Selbstüberwältigungsversuche stets wohlwollend begleitend – den Schierlingsbecher mit der Aufschrift “Die letzte Reform!” gereicht hat.