Von Peter Helmes
Die Gutmenschen sind empört. Und sie ziehen alle bekannten – und abgedroschenen – Register aus der Tasche, wie z. B. „rassistische Tendenzen“. Welch eine Überraschung! Auslöser ihres Aufbegehrens gegen die Vernunft ist die Aktion eines mutigen Bürgermeisters, der den Neuankömmlingen seiner Heimatgemeinde einen Willkommensbrief der klaren Worte („Liebe fremde Frau, lieber fremder Mann…“) schrieb.
Da geht natürlich überhaupt nicht, meinen die „besseren Menschen unseres Landes“ und sorgen landesweit für Empörung. Über was empören sie sich denn da? Doch wohl über Selbstverständlichkeiten! Wer einmal in einem Stadtviertel mit hohem Flüchtlingsanteil oder gar in einem Flüchtlingsheim unangemeldet zu Besuch war, kennt solche Erscheinungen: Müll, Essensreste, Klogang-Reste usw. – alles durcheinander und meist auf dem Boden verteilt. Natürlich nicht überall, aber häufig. Aber keinesfalls darf die Nazikeule fehlen: „Rassistische Tendenzen“ sind leicht zu vermuten. Einfach billig!
Soll man also ganz einfach die Augen davor verschließen, oder darf man auf nötigen Anstand hinweisen? Die dpa berichtet – verzichtet dabei aber nicht auf Tritte in die Kniekehle des Bürgermeisters („naiv“):
Deutschland soll ein sauberes Land bleiben
„Hardheim: Umstrittener Knigge für Flüchtlinge sorgt für Empörung. Bürgermeister Volker Rohm (Freie Wähler) schreibt Asylsuchenden genau vor, wie sie sich in Hardheim zu verhalten haben.
“Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es bleiben!”: In der kleinen Gemeinde Hardheim im Norden von Baden-Württemberg soll alles so bleiben, wie es ist – und nicht durch Asylsuchende in Unordnung geraten. Doch seitdem die beschauliche 4600-Seelen-Gemeinde rund tausend Flüchtlinge aufgenommen hat, ist die kleine heile Welt gestört. Für Bürgermeister Rohm Grund genug, einen Verhaltenskodex an die Fremden zu verteilen.
“Notdurft verrichten wir auf Toiletten”
“Liebe fremde Frau! Lieber fremder Mann!”, beginnt das Schreiben, über das die Flüchtlinge laut Gemeinde in verschiedenen Landessprachen informiert wurden. “Viele von Ihnen haben Schreckliches durchgemacht. Krieg, Lebensgefahr, eine gefährliche Flucht durch die halbe Welt”, heißt es zunächst noch ganz einfühlsam.
Doch rasch ändert sich der Ton, und es folgen schulmeisterliche Belehrungen: “Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es bleiben!”, das soll den Flüchtlingen klar sein. Wenn man öffentliche Toiletten benutze, “ist es hier zu Lande üblich, diese sauber zu hinterlassen”.
Das Toiletten-Thema scheint die Hardheimer sehr zu beschäftigen: “Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen.”
Knigge löst Welle der Empörung aus
Die Benimmregeln sorgen deutschlandweit für Schlagzeilen. Die Internetseite der Gemeinde bricht zusammen, das Telefon im Rathaus steht nicht mehr still. “Flüchtlinge sind Diebe, schmutzig und baggern allesamt Mädchen an – das bleibt nach der Lektüre des Leitfadens”, fasst “Spiegel Online” den Tenor zusammen.
Bürgermeister Rohm kommt mit Interviews nicht mehr hinterher. Dabei kann er die Aufregung um seine Verhaltensvorschriften gar nicht verstehen.
„Bürgermeister gibt sich naiv“
Und deshalb verteidigt das Gemeindeoberhaupt die umstrittenen Benimmregeln. “Der Leitfaden ist nicht als Schikane gedacht, sondern soll das Zusammenleben zwischen Asylbewerbern und Bevölkerung erleichtern”, gibt sich Rohm naiv. “Wir wollen die Asylbewerber damit nicht zu guten Deutschen machen.”
Bei den Verhaltensregeln handele es sich um Empfehlungen nach Beschwerden, die überwiegend von Bürgern an das Rathaus herangetragen worden seien.
“Das nährt rassistische Tendenzen”
Angelika von Loeper, Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, sieht das anders: Zettel zu verteilen, in denen Vorurteile aneinandergereiht würden, trage keineswegs dazu bei, die Ängste der Bürger abzubauen. “Ich halte das für einen falschen Ansatz und hochproblematisch”, sagt sie. “Das nährt meiner Ansicht nach rassistische Tendenzen.” Das baden-württembergische Integrationsministerium wollte sich nicht äußern.
CDU-Hardliner: ““Ein Beispiel für ganz Baden-Württemberg”
Doch nicht alle teilen die kritische Auffassung: “Wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen, müssen sie sich an unsere Regeln halten. Hardheim sollte ein Beispiel für ganz Baden-Württemberg sein”, sagt der Bundestagsabgeordnete und Bezirksvorsitzender der CDU Württemberg-Hohenzollern, Thomas Bareiß. “Wir brauchen jetzt klare und unmissverständliche Integrationsregeln, der Vorstoß der Gemeinde Hardheim ist richtig.”
(Nach einer dpa Meldung 08.10.2015, 19:34 Uhr, entnommen| aus t-online, 8.10.2015: t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_75721574/hardheim-umstrittener-knigge-fuer-fluechtlinge-sorgt-fuer-empoerung.html)
- Okt. 2015