Von altmod *)
Das neue Schweigen der Deutschen
„Es ist still geworden im Land. Damit meine ich gewiss nicht die Talkshows oder die öffentlichen Facebook-Kommentarbereiche, denn dort ist es lauter denn je zuvor (was nicht bedeutet, dass man auch miteinander redet). Ich meine dagegen die ganz alltägliche Begegnung mit den Mitmenschen, also gerade den Raum, in dem die Zusammenkunft abseits der Enthemmung von Fernsehen und Internet stattfinden und gestaltet werden kann. Noch vor wenigen Monaten hätte ich nicht im Traum daran gedacht, Themen von gesellschaftspolitischer Relevanz bewusst nicht in einem solchen Rahmen anzusprechen, denn dafür diskutiere ich zu gerne und begegne zu vielen Leuten, die eine Diskussion zu bereichern wissen. Aber mittlerweile ist etwas anders geworden. Das, was gemeinhin „Flüchtlingskrise“ genannt wird, ist aus den Streitgesprächen vieler Deutscher verschwunden …“, schreibt Andreas Backhaus in seinem lesenswerten Artikel „Unsere stumme Farce: Das neue Schweigen der Deutschen“ auf Tichys Einblick.
Uns verschlägt es die Sprache
Er beschreibt treffend, wie es uns im Anblick des Offensichtlichen, der auf uns zurollenden Katastrophe, die Sprache verschlägt. Nicht aus atemlosem Staunen oder Gleichgültigkeit heraus, sondern weil das Thema, so wie es sich uns darbietet und dargeboten wird, zum einen zu einer Polarisierung und zum anderen zu privaten Irritationen geführt hat. Zu Zweifeln bei den einen, zu nicht mehr so satt empfundener moralischer Gewissheit bei den anderen. Ist es nicht so: man scheut sich im Freundeskreis, ja sogar in der engstenFamilie, überhaupt noch eine Anmerkung zu den aktuellen Begebenheiten abzugeben, da jeder seine einmal eingenommene Position als Keim für Streit und Verletzung empfinden mag.
„… der Streit über die Flüchtlingskrise hat Vertrauen zwischen Menschen zermürbt und Freundschaften gekostet.“ schreibt Andreas Backhaus weiter, und: „Die einen haben panische Furcht davor, dass ihr moralisch reines Gewissen angekratzt werden könnte und die anderen sind mittlerweile entweder zu eingeschüchtert, um dies noch zu wagen, oder sie haben Angst vor der Erkenntnis, dass der Wunsch der Gegenseite, sich selbst als die guten Menschen zu sehen, ihre Zugänglichkeit für rationale, auf Fakten basierende Argumentationen wirklich komplett verbaut hat.“
Augen und Ohren zuhalten
„Das Schweigen der Lämmer“ dient in dem gleichnamigen Film als (tiefenpsychologische) Metapher für die aufkommenden und ungebrochenen Ängste der Hauptprotagonistin. Nicht anders geht es uns bei dieser erwähnten neuen Form einer „Schweigespirale“. Viele möchten sich am liebsten wie ein Kleinkind verhalten, das sich die Augen oder Ohren zuhält, wenn es sich nicht mit der Wirklichkeit oder einwirkenden, unangenehmen Sinneseindrücken konfrontiert sehen will. Die Metapher aus „Das Schweigen der Lämmer“ zeigt – denkt man an solche eigentlich „infantile“ Neigungen – wie Ichbewusstseinbildung an das Ansichtiggemachtwerden gebunden ist.
Aus einem beachtenswerten Vortrag des Psychologen Prof. Rainer Mausfeld von der Uni Kiel „Warum schweigen die Lämmer?“, kann man treffend herausfiltern, wie es zu diesem Verhalten kommt. „Demokratie, Psychologie und Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements“ ist der Untertitel seiner Analyse.
Mausfeld erarbeit zunächst eine Bestandsaufnahme der unübersehbaren Defizite unserer real existierenden Demokratie, die von fremdbestimmten Eliten stupriert (vergewaltigt) wurde und wird. Als willfährige Helfer dienen die Medien, die Journalisten, Verleger und Intendanten, die sich durch ihre Nähe zu den Mächtigen als Bestandteil der Elite gerieren möchten. Sie setzen die Techniken um, mit denen das Volk je nach Bedarf stillgehalten oder aufgeputscht wird.
Apathie beim Volk erzeugen
In der aktuellen Krise sehen wir die Manipulationen auf sich scheinbar widerstreitenden Aktionsebenen. Mit den stündlich in den Fernsehprogrammen gebrachten Berichten, unterlegt mit Meldungen über das Kriegschaos und das Elend in den Flüchtlingslagern, will man zweierlei bewirken. Auf der einen Seite will man das Gewissen der so Infizierten, die „moralischen Sensitivitäten“ ansprechen. Andererseits muss das drohende Empörungspotential, das zu einer Entgleisung der Publikumsreaktionen führen könnte, im Griff behalten werden. Die Ereignisse vom Silvesterabend in Köln und die sexuellen Übergriffe dort und andernorts, die Angst um die eigene Sicherheit und um die unserer Kinder hätten das Potential zu einer von den Eliten nicht mehr kontrollierbaren „Aufstandsentfachung“. Also war es verständlich, dass dies zunächst verschwiegen wurde, bis die Enthüllung nicht mehr zu verhindern war. Aber mit den ständig auf uns einhämmernden Berichten zu den „Flüchtlingstragödien“, den „humanitären Katastrophen“ will man aber letzten Endes auch ein für die Politik suffizientes Maß an politischer Apathie beim Volk erzeugen. Die Folge: Der Bürger kann, will eigentlich nichts mehr davon hören.
Als „Nebenkriegsschauplatz“ möchte man aber durchaus eine gesteuerte Empörung bis hin zur „Aufstandsentfachung“ entflammen, indem man z.B. AfD und auch die demokratische “Rechte” mit allen Mitteln inkriminieren und als das Hauptübel der Zeit bekannt machen möchte.
Aufgrund unserer geistigen Struktur erliegen wir manchen Manipulationen automatisch und unbewusst – können uns kaum dagegen wehren. Das nutzen die Eskamoteure gezielt aus, und so können viele dem oft nicht entgehen.
„Wir können den psychologischen Effekten, die sich Manipulationstechniker gezielt zunutze machen nur dadurch entgehen, dass wir die auslösende Situation so gut es geht vermeiden.“ (Prof. Mausfeld), nur dann „haben wir in derartigen Situationen eine Chance, uns einen Rest von Autonomie zu bewahren“, aber „(wir) verfügen von Natur aus über ein reiches Repertoire an Möglichkeiten unseres Verstandes, um Manipulationskontexte erkennen und somit aktiv vermeiden zu können.“
Was können “wir Lämmer” folglich tun? Verlassen des gewohnten Pferches, und die echte Freiheit (auch von Information) entdecken; sich seines Verstandes bedienen und mit den Bilanzen unserer Reflexionen nicht hinter dem Berg halten! Viele von uns haben zwar Verletzungen durch die Hütehunde erlitten, als sie den Pferch verlassen haben und auf sich aufmerksam machten. Aber ist Schweigen eine Alternative? Wohl nicht.
*) „altmod“ ist Blogger (altmod.de), Facharzt und Philosoph sowie regelmäßiger Kolumnist bei conservo
- März 2016