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Ein Kommentar von Peter Helmes zum Parteitag der Linkspartei in Magdeburg
Der Linkspartei laufen die Wähler weg. Und nicht nur das: Viele ehemalige Wähler, aber auch Mitglieder sympathisieren mittlerweile offen mit den “rechtspopulistischen” Äußerungen der AfD. Das wäre Grund genug gewesen, beim Parteitag in Magdeburg Fehlersuche in den eigenen Reihen zu betreiben und eine Standortbestimmung für die Zukunft vorzunehmen. Da klingt dann das Schmettern der „Internationale“ wie das Pfeifen im Wald. Die Malaise der deutschen Linken findet im programmatischen Niedergang in Europa eine Parallele.
TTIP-Verweigerung als einziges einigendes Band der deutschen und europ. Linken
Für die europäischen Linken jenseits der Sozialdemokratie stellt die Verweigerung gegenüber TTIP das einigende Band dar. Von den französischen Kommunisten, über die Vertreter der Parti de gauche, Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien bis hin zur deutschen Linken – alle seien sie gegen das Freihandelsabkommen und das von Anfang an, betont Heinz Bierbaum, der auch Vorsitzende der internationalen Kommission der Linken ist. „Ich glaube, das hilft, auch die europäische Dimension der Linken insgesamt zu stärken.“
Andererseits erschöpfe sich im Protest gegen das Freihandelsabkommen der linke Gleichklang in Europa (Bierbaum).
Die Neinsager vom Dienst – „Gegen alles“ als politisches Konzept
TTIP ist dann aber auch das einzige, was die Linksparteien in Europa verbindet. Es fehlt an allen Ecken und Enden ein Konzept, mit dem sich die Anhänger der Linken identifizieren könnten. Eine Standortbestimmung tut also Not, meint auch Bierbaum: Es müßten Eckpunkte definiert werden, wofür die europäische Linke stehe. Der Parteitag in Magdeburg wäre dafür eine gute Gelegenheit gewesen, die aber vertan wurde.
Einig sind die deutschen und europäischen Kommunisten offensichtlich nur darin, „gegen“ zu sein, gegen alles Mögliche: Gegen das Freihandelsabkommen TTIP, gegen das 315-Milliarden-Investitionspaket von Kommissionschef Juncker, gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der EU – aber nur, weil sie ihnen nicht weit genug geht. Und natürlich sind sie auch gegen das EU-Türkei-Abkommen in der Flüchtlingskrise.
Damit hat sich die Linke in Europa gefährlich nahe an die rechten und ganz rechten Parteien herangerobbt – Linksaußen und Rechtsaußen sitzen (nahezu) einträchtig beieinander. Nur einer warnt, nämlich der schon erwähnte Heinz Bierbaum: „Die rechte Politik ist eine klar nationalistisch ausgerichtete Politik, die auf Exklusion ausgerichtet ist und nicht auf Integration, das unterscheidet uns grundsätzlich von der Rechten. Und insofern sehe ich nicht – auch wenn seitens eines Teils der Linken der Euro infrage gestellt wird –, daß wir da in einen Topf geworfen werden“.
Zugleich warnte er davor, sich in einer Diskussion über den Euro zu verzetteln, weil das von den eigentlichen Themen ablenke. Die Linke solle sich starkmachen für mehr öffentliche Investitionen, für eine Abkehr von den strengen Verschuldungsregeln des Fiskalpaktes und eine wirksame Regulierung des Finanzmarktes. Die Linke brauche eine europäische Perspektive (DLF 27.05.2016).
Nebelwerfer-Aktion gegen „Rechtspopulisten“
Ich glaube, daß der Linke Bierbaum hier einseitig blind ist. Populismus ist nun mal nicht (nur) eine „rechte“ Erscheinung, sondern mindestens ebenso eine linke. Und obendrein wird der Bevölkerung nicht nur das eingeredet, sondern ein großes Ablenkungsmanöver gestartet: Gerade die Linken behaupten gerne, die schärfsten Gegner der „Rechtspopulisten“ stünden „links“, während die Mitte zu gleichgültig reagiere und so den Aufstieg der „Rechten“ befördere.
Aha, wir lernen: Links gibt es keine Populisten, der Rechtspopulismus ist böse, und die bürgerliche Mitte ist schuld daran. Der Mann ist nicht nur einäugig, er ist blind und erkennt nicht die wahren Fronten: Der neue Populismus lebt von rechter und linker Versuchung gleichermaßen. Er verbindet nationales und soziales Gedankengut. Die bürgerliche Mitte, wenn sie denn aufwachte, könnte die Extremen auf beiden Seiten zurückdrängen. Aber dazu fehlt ihn Saft und Kraft.
In Magdeburg nur Kalter Kaffee
Die aktuelle Führungsriege sieht die Linke als Partei des sozialen Protestes, hat aber keine neuen Vorschläge. Was sie in Magdeburg vorlegten, war abgestandener Kalter Kaffee und schmeckt recht bitter: „Bessere Renten für Arme, bessere Gesundheitsversorgung, höherer Mindestlohn, verstärkter Kampf gegen rechts – so stellen sich Katja Kipping und Bernd Riexinger die Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie vor, die sie vorschlagen.
All das natürlich garniert mit den alten, ausgeleierten Sprüchen gegen den Kapitalismus und „die Reichen“. Das haben die Parteivorsitzenden zwar sehr energisch und ungewöhnlich schwungvoll vorgetragen, aber es blieb irgendwo in der Luft hänge und verdampfte. Wie auch anders? Neben Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte besonders der alte Meister der Linkspartei, Gregor Gysi, noch wenige Stunden vor dem Parteitag seine Partei in ungewöhnlich scharfer Form kritisierte: Die Partei sei „kraft- und saftlos“. Er erntete Empörung und Schmähungen und erhielt keine Einladung zu einem Redebeitrag. Alles blieb beim alten.
Auch der frühere Linken-Vorsitzende Klaus Ernst hatte zuvor im Deutschlandfunk (28.05.2016) seine Partei aufgefordert, eine Regierungsbeteiligung anzustreben. Gerade mit der SPD und den Grünen gebe es inhaltlich viele Übereinstimmungen. Ein etwaiges linkes Bündnis nütze allen potentiellen Koalitionspartnern – und schärfe auch für den Wähler die Profile.
Folglich warb Ernst für ein „linkes Bündnis“. Was das bedeuten soll, erklärt Ernst (DLF 28.5.16): „Also bitte, so ein Bündnis würde in einem sogenannten linken Spektrum allen nützen, und es würde vor allen Dingen eins bedeuten: Es würde wieder die Politikfähigkeit eines linken Lagers nach außen sichtbar machen. Die gibt es zurzeit ja kaum, sondern wenn es dieses linke Bündnis nicht gibt, dann treibt man eigentlich sozusagen die AfD und ähnliche in Europa geradezu nach vorne…“
Eine echte Auseinandersetzung fand bis jetzt mitnichten statt. In der Linkspartei herrschen stattdessen tiefe Resignation und Ernüchterung. Nichts von dem, was in Magdeburg zu hören war, war neu. Nichts davon hatte die Wähler in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg davon abgehalten, ihr Kreuz in so großer Zahl bei der AfD zu machen. Insbesondere dort, wo die AfD die Direktmandate errungen hat, waren die Verluste der Linken z. B. in Sachsen-Anhalt auffallend hoch. Ein Drittel der Wähler der Linkspartei sympathisieren seit Ende der 1990er-Jahre mit fremdenfeindlichen Sprüchen, schätzt der frühere PDS- Wahlkampf-Manager André Brie.
Nix als „Wagenknartsch“
Gekrönt wird die Unsicherheit der Parteiführung von einem Spitzenpersonal, das beileibe nicht miteinander harmoniert.
Wenn wir Frau Wagenknecht auf der einen Seite haben, Herrn Bartsch auf der anderen Seite – wir haben gerade den Begriff vom „Wagenknartsch“ wieder mal gehört –, schaffen die beiden das zusammen, oder stehen die nicht am Ende für zwei völlig unterschiedliche Konzepte?
Der Linkspartei ist das Erfolgsrezept abhandengekommen, die AfD hat es neu erfunden. Die „Rechtspopulisten“ sammeln jetzt die Wähler ein, deren Ziel vor allem dies ist: die etablierten Parteien vom Sockel zu holen. An der Spitze der Bundestagsfraktion ersetzen mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zwei Politiker den Alleskönner Gysi, die verschiedener nicht sein könnten. „Wagenknartsch“ nannten Spötter das Tandem, tatsächlich sieht es so aus, dass die brillante Rednerin und der sachliche Reformer sich gegenseitig blockieren.
In Sachsen-Anhalt hat die Linke an keine andere Partei so viele Wähler verloren wie an die AfD. Sie (die AfD) ist dort stärkste Partei bei den Arbeitern und Erwerbslosen geworden. Das sind Wähler, die eigentlich die Linke abholen will. Warum wählen diese Menschen AfD? Das weiß man auch in Magdeburg nicht so genau.
„Die Linke muß wieder die Adresse der kleinen Leute werden, raus zu den Menschen gehen“, sagte z. B. der 42-jährige Fraktionschef der Linken im Landtag, Swen Knöchel. Die AfD hatte genau dies verstanden, und prompt wechselten deshalb viele Wähler zu den Rechten. „Wir müssen die Frage des Strukturwandels weiter angehen. Wir müssen auf die drängenden Fragen von Menschen in manchen Regionen – die da lauten, bin ich der Letzte, der das Licht ausmacht, wie sieht denn die Zukunft in meiner Region aus? – Antworten finden. Und da sehen wir unsere Aufgabe in der Opposition“ (Knöchel). Hörte sich gut an, aber passiert ist nichts.
Wenn Thilo Sarrazin oder Horst Seehofer die Flüchtlingspolitik Merkels harsch attackieren, nicken viele Linkswähler zustimmend mit dem Kopf. Darum ist überhaupt nicht klar, warum das im Herbst in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin anders laufen soll – und bei der Bundestagswahl 2017.
Einbinden statt ausgrenzen
Die von den Etablierten betriebene Ausgrenzung der AfD als leibhaftiger Gottseibeiuns ist allerdings kein geeignetes Mittel, um Populisten einzudämmen. Im Gegenteil: Sie gedeihen dann noch besser. das lehrt das österreichische Beispiel. Die Altparteien wären besser beraten, würden sie die AfD einbinden statt auszugrenzen. Sie sollten stattdessen im Gespräch bleiben, den Populismus nicht dämonisieren, sondern idealerweise sogar nutzbar machen.
Der von mir keineswegs bewunderte Altmeister der Frankfurter Schule, Jürgen Habermas, hatte es bereits 2014 in einem Interview mit der FAZ angedeutet: „Der Rechtspopulismus erzwingt die Umstellung vom bisherigen Elitemodus auf die Beteiligung der Bürger.“ Damit hat er Recht. Nur, die verbohrten AfD-Gegner verstehen´s nicht.
Torten-Argumente
Jetzt tritt die „Initiative Torten für Menschenfeinde“ auf den Plan: Zum Auftakt des Magdeburger Parteitags der Linken bekommt Fraktionschefin Sahra Wagenknecht eine Schokotorte ins Gesicht. In dem verteilten Flugblatt stellen die Aktivisten eine Verbindung zu Beatrix von Storch her, die ebenfalls Torten-Empfängerin war.
Vorangegangen waren Wagenknechts Äußerungen über Grenzen der Aufnahmebereitschaft von Flüchtlingen: „…Also es ist völlig klar, daß Deutschland nicht noch eine Million und weitere in den Folgejahren verkraften würde. Natürlich könnte mit einer anderen Politik, könnten bessere Bedingungen geschaffen werden, daß es mehr Wohnungen gibt. Es gibt trotzdem Kapazitätsgrenzen…“
„…Torten, Eier oder Farbbeutel auf Politiker zu werfen, das ist beileibe keine neue Idee. Natürlich sind solche Attacken grotesk und töricht – und ein Offenbarungseid, nämlich die Absage an eine inhaltliche Auseinandersetzung. Hier in Magdeburg hat die Tortenattacke dazu geführt, dass Sahra Wagenknecht so deutlich gestärkt aus dem Treffen hervorgeht, wie keiner ihrer Genossen…“
Die ihr in Magdeburg ins Gesicht geschleuderte Schokoladentorte „verleihe Wagenknecht auf diesem Parteitag Immunität. So muß die Linke nicht klären, wie sie zu den Geraunt-„Deutsche-Zuerst“-Beiträgen ihrer Fraktionschefin in der Flüchtlingsdiskussion steht. Vordergründig mag alles klargestellt sein, der Parteitag spricht sich klar gegen Obergrenzen und Kontingente für Flüchtlinge aus. Aber das eine tun, das andere nicht lassen, so schlingert die Linke weiter. Und gibt auch heute in Magdeburg keine Antwort auf die Frage, was sie der AfD denn eigentlich entgegensetzen will“, schreibt Sandra Schulz in ihrem Kommentar im DLF (29.05.2016)
Fazit:
Ich hatte noch nie Anlaß, dem kommunistischen Zentralorgan „Neues Deutschland“ auch nur ein Wort zu glauben. Seinem Kommentar vom 28. Mai d. J. stimme ich aber ausdrücklich zu:
„Welcher Saft könnte es denn sein, der der LINKEN wieder Kraft verschafft? Sicher ist, ein Elixier der politischen Selbsterneuerung wird am Tresen des medialen Schlagabtausches nicht gereicht. Es geht um Praxis, um Ergebnisse, darum, daß wieder geglaubt wird, daß da jemand ist, dem es nicht bloß um eine Partei um ihrer selbst willen geht, sondern um Veränderung in der Gesellschaft. Einen Zaubertrank, der schon wirkt, wenn man ihn medial verabreicht, gibt es nicht.“ So ist´s richtig – und gilt für alle Parteien.
Der Linkspartei stehen harte Zeiten bevor. Gysi hat ein Gespür für strategische Notwendigkeiten, aber auf ihn will man nicht (mehr) hören: Er mahnte seine Genossen, für die Regierungsmacht zu kämpfen. Damit ist er mehr auf Widerstand denn auf Zustimmung gestoßen.
Gysi hat erkannt, daß die Linke als Regierungspartner so schnell nicht gebraucht wird. Und dann stellt sich sofort die Frage, wie man an den Links-Wähler rankommt, der zuweilen mit Zuwanderern, mit offenen Grenzen und Multikulturalismus hadert. Ein Thema, das am Wochenende in Magdeburg eher hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurde.
Auch nach ihrem Magdeburger Parteitag ist die Linkspartei geistig veraltet und verkrustet – und damit fehlt ihr jegliche Alternative. Rot und Rot stehen auf der Verliererseite, die Grünen haben sich noch schnell mit den Schwarzen geeinigt – ohne Politikwechsel. Schade um Deutschland!